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Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld

Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld

Titel: Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
Autoren: F. Paul Wilson
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Mittwoch
    Dr. Nicholas Quinn
    Manhattan
    Am 17. Mai ging die Sonne mit Verspätung auf.
    Nick Quinn hörte die ersten vagen Gerüchte über einen verzögerten Sonnenaufgang, als er in der Cafeteria der Physikfakultät der Columbia Universität seinen Kaffeepott am Automaten auffüllte. Er achtete nicht sonderlich darauf. Eine falsch kalkulierte Berechnung, ein unbeachteter Faktor, eine Fehlfunktion in einer Uhr. Menschliches Versagen. Musste es sein. Die olle Sonne kam nie zu spät zu einer Verabredung. So etwas gab es einfach nicht.
    Doch das Gerücht geisterte den ganzen Morgen durch die Korridore, nur was fehlte, war das entsprechende Anschlussgerücht mit einer Erklärung. Also machte sich Nick in der Mittagspause, nachdem er sich sein übliches Roastbeefsandwich und eine große Cola auf sein Tablett geladen hatte, in der Cafeteria auf die Suche nach Harvey Sapir aus der Abteilung für Astrophysik.
    Er hielt Ausschau nach dem Haarschopf. Harveys Haar war immer perfekt frisiert. Es wallte nahtlos in einem grau melierten Schopf nach hinten, so voll und kräftig, dass es aussah wie ein Toupet. Aus der Nähe, wenn man genau hinsah, konnte man durch die Mähne hindurch eine Spur rosiger Kopfhaut erkennen. Es war ein stets wiederkehrender Witz in der Abteilung, zu raten, wie viel Zeit und Haarspray Harv wohl jeden Morgen in seine Frisur investierte.
    Nick erspähte ihn in einer Ecke mit Cynthia Hayes. Sie arbeitete ebenfalls in der Astrophysik. Die beiden waren intensiv in ein Gespräch vertieft.
    Harvs Haarschopf war völlig zerzaust.
    Nick fand das beunruhigend. »Darf ich mich zu euch setzen?« Er stand hinter dem Stuhl neben Cynthias Platz.
    Beide nickten abwesend und steckten sofort wieder die Köpfe zusammen.
    Harvs Gesicht unter den ungekämmten Haaren wirkte verhärmt. Er sah heute sogar älter aus als seine tatsächlichen fünfundvierzig Jahre. Cynthia wirkte ebenfalls durch den Wind. Sie war etwa in Nicks Alter – Mitte dreißig – mit kurzen, kastanienbraunen Haaren und makelloser Haut. Nick mochte sie. Sehr sogar. Sie war der Hauptgrund, warum er die Brille mit den Flaschenböden gegen Kontaktlinsen eingetauscht hatte. Das war Jahre her. Er hatte noch immer nicht den Mut gefunden, sie um ein Date zu bitten. Mit seinen Aknenarben und dem merkwürdig geformten Kopf fühlte er sich wie ein warziger Frosch, der sich niemals in einen Prinzen verwandeln wird, trotzdem verzehrte er sich nach der Prinzessin.
    »Was ist das für ein Gemunkel, dass die Sonne heute zu spät aufgegangen ist?«, fragte er nach dem ersten Bissen von seinem Sandwich. »Wie kann so eine Geschichte aufkommen?«
    Sie sahen ihn beide an, dann lehnte sich Cynthia zurück und rieb sich die Augen.
    »Weil es stimmt.«
    Nick hielt mitten im Bissen inne und starrte sie an. Er suchte nach einem Lächeln, zuckenden Lippen, irgendeinem Hinweis darauf, dass sie ihn auf den Arm nahmen.
    Nichts. Zwei vollkommen ernste Gesichter.
    »Das ist doch Hühnerkacke.«
    Er bereute es augenblicklich. Er benutzte nie unflätige Worte in Gegenwart einer Frau, auch wenn viele von denen sich nicht scheuten, in seiner Gegenwart wie die Seeleute zu fluchen.
    »Sonnenaufgang hätte heute Morgen um einundzwanzig Minuten nach fünf sein müssen«, sagte Cynthia. »Stattdessen ging die Sonne um fünf Uhr sechsundzwanzig auf. Fünf Minuten und acht Komma zwei zwei Sekunden zu spät.«
    Ihre rauchige Stimme ließ ihn jedes Mal wieder wohlig erschauern.
    Nur heute nicht. Ihre Worte machten ihm Angst. Sie sprach etwas Undenkbares aus.
    »Kommt schon, Leute.« Er zwang sich zu einem Lachen. »Wir haben unsere Uhren nach der Sonne gestellt, nicht umgekehrt. Wenn die Uhr behauptet, dass die Sonne zu spät aufgeht, dann müssen wir die Uhr neu stellen.«
    »Atomuhren, Nick.«
    »Oh.«
    Das war etwas anderes. Atomuhren maßen den Zerfall von radioaktiven Stoffen. Sie gingen bis auf Millionstel einer Sekunde genau. Wenn die behaupteten, dass die Sonne zu spät aufgegangen war …
    »Könnte irgendeine Art mechanische Fehlfunktion sein.«
    Harv schüttelte den Kopf. »Auch Greenwich hat einen verspäteten Sonnenaufgang gemeldet. Etwas über fünf Minuten zu spät. Von da sind wir angerufen worden. Ich war um halb fünf hier und habe gewartet. Wie Cynthia bereits sagte – der Sonnenaufgang war auch bei uns um genau dieselbe Zeitspanne verschoben.«
    Nick spürte, wie ein Wurm des Unbehagens sich anschickte, an seinem Rücken hochzuklettern.
    »Was ist mit Palo Alto?«
    »Das
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