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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen
Autoren: Deborah Crombie
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Bestimmung des Todeszeitpunkts vornehmen muss, beneide ich wirklich nicht.«
    »Aber warum sollte … wie kann …?« Juliet atmete schwer; sie schien um Fassung zu ringen. »Und was machen wir jetzt?«
    Kincaid hatte schon sein Handy aus der Tasche gezogen. Er wählte die 999 und lächelte sie schief an. »Wir versauen irgendwem den Heiligabend.«
     
    Die kleine Diele war ein einziges lärmendes Durcheinander, zum Bersten voll mit Erwachsenen, Kindern und Hunden. Ein Teil von Gemmas Gehirn registrierte den Duft von Gebäck, vermischt mit dem von grünen Tannenzweigen, ein anderer die blassgrünen Wände mit gerahmten Illustrationen aus Kinderbüchern, einen mit Schirmen und Spazierstöcken vollgestopften Schirmständer und die mit Jacken und Mänteln behängten Garderobenhaken. Die Pfosten des Treppengeländers waren mit Girlanden aus Stechginster, goldenen Bändern und Eibenzweigen mit tiefroten Beeren geschmückt.
    Der Junge, der das Telefon gebracht hatte – Gemma nahm an, dass es sich um Duncans Neffen Sam handeln musste -, rief irgendetwas, wurde aber fast übertönt von dem hektischen, schrillen Gebell, das aus dem hinteren Teil des Hauses kam. Als dann auch noch Geordie und Tess in das Konzert einstimmten, versuchte Gemma, den Cockerspaniel zum Schweigen zu
bringen, während Kit den Terrier auf den Arm nahm und ihn beruhigte.
    Rosemary Kincaid hatte ihren Sohn bedrängt, doch wenigstens eine Tasse Tee zu trinken, doch er hatte abgelehnt und gesagt, je eher er sich um die Sache kümmere, desto schneller würde er wieder zurück sein. Als er Gemma mit einem geflüsterten »Tut mir leid« die Schulter getätschelt hatte, hatte sie seinen Arm gepackt und gemurmelt: »Ich komme mit dir.«
    »Nein. Bleib bei den Jungs«, hatte er leise und mit einem Seitenblick auf Kit erwidert. »Ich schaffe das auch allein, und die beiden brauchen dich.«
    Sie war in unglückliches Schweigen versunken, während sie ihm mit einem Gefühl wachsender Panik nachsah. Er würde doch nicht gleich am ersten Tag ihrer Ferien in einen Mordfall hineingezogen werden – das wäre so unfair, dass sie es einfach nicht glauben mochte. Es könnte alles Mögliche sein, sagte sie sich – als sie noch Streife gefahren war, hatten sie mehr als einmal Anrufe von besorgten Bürgern bekommen, die die Überreste eines streunenden Hundes für eine menschliche Leiche gehalten hatten. Und dass sie jetzt bei der Erwähnung des Wortes »Leiche« automatisch an Mord dachte, war bei den vielen Tötungsdelikten, mit denen sie im Dienst zu tun hatte, nicht weiter verwunderlich.
    »Gemma, Kinder«, sagte Rosemary in diesem Moment, »kommt mit in die Küche. Ich weiß, es ist ein bisschen spät für Tee, aber ich fürchte, auf das Abendessen werden wir alle noch eine Weile warten müssen.« Kincaids Mutter hatte Gemma herzlich begrüßt, genau wie bei ihrer einzigen bisherigen Begegnung, anlässlich der Beerdigung von Kits Mutter. Rosemarys kastanienbraunes Haar schien zwar ein wenig grauer geworden zu sein, doch mit ihren markanten Zügen und ihrer glatten Haut gehörte sie zu den Menschen, denen man ihr Alter kaum ansieht, und sie strahlte eine unbändige Energie aus.

    Als Gemma ihr antwortete, war ihr unangenehm bewusst, wie fremd ihr Nordlondoner Akzent hier wirkte, wie rau und abgehackt ihre Vokale im Vergleich zu Rosemary Kincaids kultiviertem Cheshire-Tonfall klangen.
    Ihr Blick fiel auf Kincaids Vater, der hinausgegangen war, um Duncan nachzublicken, jetzt aber in die Diele zurückkam und die Tür hinter sich schloss. Hugh Kincaid war groß gewachsen wie sein Sohn, mit vorspringender Stirn, ausgeprägtem Kinn und markanter Nase. Sein nach hinten gebürstetes, grau meliertes Haar und der Rollkragenpullover schienen seine Züge noch zu betonen und ließen sein Gesicht streng wirken. Dann aber lächelte er sie an, und Gemma war gleich ganz und gar bezaubert von seinem unerwarteten Charme. Sie erwiderte sein Lächeln und merkte, wie sie sich allmählich entspannte.
    »Du solltest lieber tun, was sie sagt«, warnte Hugh sie mit einem Blick auf seine Frau, »sonst gibt es Ärger.« Gemma hatte nicht mit dem leisen Anflug eines schottischen Akzents in seiner Stimme gerechnet, obwohl sie wusste, dass er aus der Nähe von Glasgow stammte. Sofort musste sie an Hazel Cavendish denken, die jetzt weit weg von London in den schottischen Highlands lebte, und die Sehnsucht nach ihrer Freundin gab ihr einen Stich ins Herz.
    »Hör nicht auf ihn«, konterte Rosemary
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