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Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)

Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)

Titel: Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
Autoren: Christin Busch
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    D as erste Morgenlicht fiel auf die bizarren Felsblöcke, die wie verloren gegangene Schachfiguren eines Riesen aus dem Meer aufragten. Die Dämmerung schien sie aus einem hellen Dunstschleier förmlich auferstehen zu lassen und enthüllte ihre seltsam-majestätische Gleichgültigkeit gegenüber Sturm und Wetter. Die Brandung tobte und brauste mit Urgewalt heran und umspülte die einzelnen Felsen mit hohen weißen Schaumkronen. Wellen kamen und gingen und folgten mit ihrem Rhythmus einem urzeitlichen Befehl. Einige Möwen hatten sich bereits in die Luft erhoben und kreisten in hungriger Erwartung über dem grauen Meer.
    Sarah stand ganz allein und wie versteinert auf der hölzernen Aussichtsplattform und sah auf den von der Natur so dramatisch geformten Küstenabschnitt hinab. Sie spürte nicht, wie der stürmische Wind sie umtoste und mit scharfer Kälte durchdrang. Enttäuschung und tiefe Traurigkeit lagen in ihren großen graublauen Augen, die nun ziellos die Steilküste entlangwanderten. Jetzt, in diesem Moment, sollte er bei ihr sein und dieses Wunder der Natur mit ihr gemeinsam bestaunen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Nein, sie war allein hier, und sie meinte diese grenzenlose Einsamkeit, die sie gefangen nahm, beinahe körperlich fühlen zu können.
    Der schneidende Wind ließ ihren Atem stocken, und gerade als der Wunsch, endlich alles zu vergessen und nur noch mit den tosenden Wassermassen zu verschmelzen,übermächtig zu werden drohte, fielen die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages auf die hoch aufragenden Wände der Steilküste und tauchten sie in ein so unwirkliches Gold, dass es sie in ihrer Verzweiflung fasziniert innehalten ließ. Der leuchtende goldgelbe Farbton schien nicht nur die Natur, sondern auch ihre Seele zu wärmen, denn ein staunender Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht und vertrieb sekundenlang die Traurigkeit, die sich seit Tagen darauf niedergelassen hatte. Ihre Augen glitten jetzt von den Sandsteinklippen über die un-gezähmten gischtgekrönten Wellen bis zum Blau des endlos weiten Himmels, der sich unbeeindruckt darüber spannte. Atemlos nahm sie dieses Bild in sich auf und seufzte unbewusst, bis sie plötzlich die Stimmen anderer Menschen in die Wirklichkeit zurückkehren ließen. Offenbar eröffnete der gerade erwachende Tag den stetigen Strom von Urlaubern und Touristen, die von diesem Holzpodest aus ebenfalls einen Blick auf eine der schönsten Küsten Australiens werfen wollten. Fröstelnd steckte Sarah die Hände in ihre Jackentaschen und ging zurück zu ihrem Wagen, den sie gleich nachdem sie in Melbourne gelandet war gemietet hatte. Sie war die ganze Nacht durchgefahren – auf der Flucht vor sich selbst und vor ihren Gedanken, die seit mehr als dreißig Stunden nur um Wolf kreisten.
    Mechanisch brachte sie den Weg in den nächsten Ort hinter sich, wo sie ein Zimmer nahm und sich in den Schlaf weinte. Blass, mit geröteten Augen und kaum erholt setzte sie Stunden später ihre Reise fort, eine Reise, von der sie nicht recht wusste, wohin sie führen sollte. Es hatte sie zwar wie selbstverständlich zu ihren Großeltern gezogen, und sie wollte sie auch gerne wiedersehen, aber in ihrer augenblicklichen Verfassung überwog der Wunsch nach Abgeschiedenheit ohne Fragen, obwohl diese selbst gesuchte Einsamkeit sie mittlerweile immer häufiger zu verschlingen drohte. Kilometer um Kilometer brachte der Wagen hinter sich, und Sarah spürte weder Hunger noch Durst, nur eine grenzenlose Leere in sich, deren Endgültigkeit sich immer weiter ausbreitete. Als die Landschaft vor ihren Augen zu flimmern begann und sie Mühe hatte, den Wagen in der Spur zu halten, kehrte sie in die Wirklichkeit zurück und hielt ein wenig abseits der Straße an, um eine Pause zu machen. Sie stieg aus und sah sich um. Die Great Ocean Road war mittlerweile in den Princess Highway übergegangen. Warrnambool, der frühere Walfängerstützpunkt, lag hinter ihr, der nächste größere Ort, Mount Gambier, vor ihr. Sie öffnete eine Flasche Wasser und zwang sich, sie bis zur Hälfte auszutrinken. Während sie in einen Schokoladenriegel biss, studierte sie die Karte. Enttäuscht stellte sie fest, dass sie noch knapp einhundertfünfzig Kilometer von Mount Gambier trennten. Sie hatte etwa mit der Hälfte gerechnet. Seufzend faltete sie die Karte zusammen und griff wieder nach dem Wasser. Sicherlich war sie nicht die Erste, die die Entfernungen hier unterschätzte. Als sie wenig später den Verschluss auf die leere
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