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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen
Autoren: Deborah Crombie
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Telefon gegeben hatte, schlenderte er langsam die letzten Stufen hinunter und musterte Kit und Toby mit unverhohlener Neugier.
    »Juliet«, sagte Hugh ins Telefon, »was gibt’s? Kann das nicht noch einen Moment war…«
    »Papa, ist Duncan schon da?«, unterbrach ihn seine Tochter in scharfem Ton. Sie schien außer Atem.
    »Ja, sie sind gerade angekommen. Deshalb …«
    »Papa, sag ihm, er soll zum alten Viehstall rauskommen – er weiß, wo das ist. Sag ihm …«, sie schien zu zögern, dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort, »sag ihm nur, dass ich eine Leiche gefunden habe.«
     
    »Mist«, brummte Kincaid, während er sich hinter das Lenkrad von Gemmas Ford zwängte und den Sitz zurückschob, um Platz für seine langen Beine zu schaffen. Seine Schwester war nicht am Apparat geblieben, um mit ihm zu sprechen, aber bevor sie das Gespräch beendet hatte, hatte sie ihrem Vater noch gesagt, dass der Akku ihres Handys fast leer sei.

    Sollte das vielleicht ein Witz sein, fragte er sich – Juliets Rache dafür, dass er sie als Kind immer geärgert hatte? Sie hatte doch wohl nicht wirklich eine Leiche gefunden? Sein Vater hatte die Sache wegen der Kinder heruntergespielt, aber wenn es tatsächlich wahr wäre, dann wäre er wohl eher das Opfer eines kosmischen als eines geschwisterlichen Streichs, dachte er.
    Sie hatte auch nicht gesagt, ob sie schon die Polizei informiert hatte, und so hatte er beschlossen, sich zuerst ein Bild von der Lage zu machen und dann selbst die Kollegen anzurufen. Er wollte sich nicht zusätzlich zu dem ganzen Ärger auch noch blamieren, falls sich herausstellen sollte, dass seine Schwester in dem alten Stall nur die Überreste irgendeines verirrten Tieres gefunden hatte.
    Sein Vater hatte ihm noch rasch erklärt, was es mit Juliets Renovierungsprojekt auf sich hatte, und Kincaid erinnerte sich sehr gut an das alte Gemäuer. Er und Jules hatten als Kinder oft am Ufer des Kanals gespielt, und der Viehstall war bei ihren Streifzügen am Leinpfad entlang ein vertrauter Orientierungspunkt gewesen. Grundsätzlich hatte er ja nichts dagegen, in Erinnerungen an seine Kindheit zu schwelgen, aber ein warmer, sonniger Frühlingstag wäre ihm dafür allemal lieber gewesen als so ein bitterkalter Winterabend – und dann auch noch ausgerechnet Heiligabend.
    Und er war auch nicht glücklich darüber, Gemma mit den Jungen schon gleich nach der ersten, flüchtigen Vorstellung allein zurückgelassen zu haben. Als er in der Einfahrt zurücksetzte, fiel sein Blick noch einmal auf das Haus, und er sah seinen Vater vor der offenen Tür stehen und ihm nachschauen. Kincaid winkte, kam sich aber gleich darauf albern vor, weil er wusste, dass sein Vater ihn nicht sehen konnte. Er sah ihm nach, als er ins Haus ging. Die Tür fiel ins Schloss, und dahinter verschwanden die letzten Reste von Licht und Wärme.
    Er erinnerte sich, dass der Viehstall am Hauptarm des
Shropshire Union Canal bei Barbridge lag. Auf dem Weg zum Haus seiner Eltern waren sie vorhin sogar direkt daran vorbeigekommen. Als Kinder hatten er und Jules diesen Abschnitt des Kanals erreicht, indem sie quer über die Felder gelaufen waren und dann den Middlewich-Arm des Kanals überquert hatten, der näher an ihrem Haus vorbeiführte. Aber heute würde er die Straße nehmen.
    Als er im Schritttempo auf die Landstraße hinausfuhr, wehte der Wind ein paar Schneeflocken gegen die Windschutzscheibe, und Duncan fluchte. Sie hatten den Schnee bei Crewe hinter sich gelassen, aber inzwischen hatte er sie offenbar wieder eingeholt. Die Flocken waren jetzt schwerer, sie lösten sich unter den Wischerblättern auf, und der Asphalt glänzte nass im Scheinwerferlicht. Als er auf die Straße nach Chester stieß, fuhr er ein Stück zurück in Richtung Nantwich, und nach der Abzweigung nach Barbridge verlangsamte er das Tempo und begann nach dem schmalen Feldweg Ausschau zu halten, an den er sich erinnerte.
    Da tauchte die Abzweigung auch schon urplötzlich aus der Dunkelheit auf, und er musste das Steuer jäh nach links herumreißen. Ein Haus ragte vor ihm auf, und im Schneegestöber erhaschte er einen kurzen Blick auf die dunklen Zinnen der Schornsteine. Ein viktorianisches Herrenhaus, das in seiner Kindheit leer und verwahrlost gewesen war – einer jener Orte, denen man sich nur näherte, wenn man seinen Mut mit dem eines draufgängerischen Spielkameraden zusammenlegen konnte. Jetzt war es allerdings bewohnt – in einem der unteren Fenster hatte er Licht brennen
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