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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen
Autoren: Deborah Crombie
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streifte sie, als er an ihr vorbeistolperte. Er murmelte etwas, was sie nicht ganz verstand, doch sie wusste, es war ein Fluch und keine Entschuldigung.
    Dann lief er schon weiter, und noch lange, nachdem die Dunkelheit seine schlanke Gestalt verschluckt hatte, glaubte sie das Stampfen seiner Schritte zu hören.

1
    Dezember
    Gemma James hätte nie gedacht, dass zwei Erwachsene, zwei Kinder und zwei Hunde, allesamt mit dem Gepäck für eine Woche und diversen Weihnachtsgeschenken in ein kleines Auto gequetscht, eine so ominöse Stille verbreiten könnten.
    Es war Heiligabend, und sie waren gleich nach dem Mittagessen von London aufgebrochen – oder vielmehr, sobald sie und ihr Lebensgefährte Duncan Kincaid sich von ihren Schreibtischen hatten losreißen können – er im New Scotland Yard, sie im Revier Notting Hill der Metropolitan Police. Sie hatten es endlich geschafft, beide eine Woche längst überfälligen Urlaub zu bekommen, und waren auf dem Weg nach Cheshire, um die Feiertage bei Duncans Eltern zu verbringen – eine Aussicht, die Gemma mit einiger Unruhe erfüllte.
    Auf dem Rücksitz war Gemmas fünfjähriger Sohn Toby endlich eingeschlafen. Sein Köpfchen mit dem blonden Schopf war zur Seite gesunken, und sein kleiner Körper hing schlaff im Sicherheitsgurt, so vollkommen entspannt und selbstvergessen, wie es nur die Jüngsten sein können. Geordie, Gemmas Cockerspaniel, fläzte halb auf dem Schoß des Jungen und schnarchte leise. Neben Toby saß Kit, Duncans dreizehnjähriger Sohn, und zusammengerollt an seiner Seite lag Kits kleiner Terrier Tess. Im Gegensatz zu Toby war Kit hellwach, aber bedenklich still. Die Ferien, denen die Kinder schon so lange entgegenfieberten, hatten mit einem Streit begonnen, und Kit hatte wenig Neigung gezeigt, seine Gekränktheit zu vergessen.

    Gemma seufzte unwillkürlich, und Duncan beäugte sie vom Beifahrersitz aus.
    »Reif für eine Pause?«, fragte er. »Ich kann gerne übernehmen.«
    Ein einzelner dicker Regentropfen platschte auf die Windschutzscheibe und kroch am Glas hinauf. Gemma sah, dass die schweren Wolken im Norden schon den Horizont streiften und rapide die letzten Reste von Tageslicht auslöschten. Bis hinter Birmingham waren sie im Stop-and-Go-Verkehr des Ferienbeginns über die M 6 geschlichen und kamen jetzt erstmals einigermaßen zügig voran. »Ich glaube, es kommt noch eine Raststätte, bevor wir von der Autobahn abfahren. Da können wir dann tauschen.« Gemma wäre zwar lieber ohne Pause weitergefahren, aber sie legte auch keinen großen Wert darauf, im Dunkeln durch das wilde Hinterland von Cheshire zu kutschieren.
    »Nantwich ist keine zehn Meilen von der Autobahn entfernt«, kommentierte Duncan grinsend ihre unausgesprochenen Befürchtungen.
    »Trotzdem, dazwischen ist nur plattes Land.« Gemma verzog das Gesicht. »Kühe. Schlamm. Mist. Mücken.«
    »Mücken? Nicht um diese Jahreszeit«, korrigierte er sie.
    »Außerdem«, fuhr Gemma unbeirrt fort, »wohnen deine Eltern gar nicht in der Stadt. Sie wohnen auf einem Bauernhof .« Sie brachte es fertig, das harmlose Wort mit unheilvoller Bedeutung aufzuladen.
    »Auf einem ehemaligen Bauernhof«, sagte Kincaid, als sei das etwas völlig anderes. »Zugegeben, nebenan ist eine Molkerei, und ab und zu weht’s die Gerüche ein bisschen zu uns rüber.«
    Seine Eltern hatten in dem Marktstädtchen Nantwich einen Buchladen, doch sie wohnten in einem alten Bauernhaus ein paar Meilen weiter nördlich. Dort war Kincaid aufgewachsen, zusammen mit seiner jüngeren Schwester Juliet, und seit
Gemma ihn kannte, hatte er immer von diesem Ort geschwärmt, als sei es der Himmel auf Erden.
    Im Gegensatz zu ihm fühlte sich Gemma, die in Nordlondon aufgewachsen war, nie so richtig wohl, wenn sie nicht die Lichter und Menschenscharen der Großstadt um sich hatte und sie nahm ihm seine glühenden Lobeshymnen auf das Landleben nicht ab. Auch war sie nicht gerade begeistert gewesen von der Idee, über die Feiertage wegzufahren. Sie hatte sich so auf ein Weihnachtsfest ohne die Katastrophen gefreut, die ihnen im Jahr zuvor – ihrem ersten in dem Haus in Notting Hill – die Feiertagsfreude getrübt hatten. Und sie hatte das Gefühl, dass die Kinder die Sicherheit und Geborgenheit eines Weihnachtsfests im eigenen Zuhause brauchten – ganz besonders Kit.
    Ganz besonders Kit. Sie warf einen verstohlenen Blick in den Rückspiegel. Er hatte sich an ihrem Geplänkel nicht beteiligt und blickte immer noch mit versteinerter,
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