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So weit die Hoffnung trägt - Roman

So weit die Hoffnung trägt - Roman

Titel: So weit die Hoffnung trägt - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Gegend des Bundesstaates, die Teds Schwiegervater als »so gottverlassen, wie es schlimmer nicht geht« bezeichnete. Die Stadt lag nicht nur mitten im Nirgendwo, sie war auch arm – ihre Bewohner hauptsächlich die mittellosen Überlebenden der Weltwirtschaftskrise. Wall war kaum der richtige Ort, um ein erfolgreiches Geschäft zu gründen.
    Trotz der offenkundigen Nachteile fühlten sich Ted und Dorothy in der kleinen Stadt zu Hause, hauptsächlich weil es eine katholische Kirche gab, in der sie jeden Tag zur Messe gehen konnten. Sie beteten angesichts ihrer Entscheidung, und da sie göttlichen Segen zu verspüren meinten, beschlossen sie, die ums Überleben kämpfende Drogerie zu kaufen.
    Während erst die Monate und dann die Jahre verstrichen,hielt sich die Drogerie mühsam über Wasser, immer in Gefahr, in den Abgrund gerissen zu werden. Trotz seines Glaubens begann sich Ted zu fragen, ob sie das Richtige getan hatten. Schließlich entschied er, dem Geschäft noch fünf Jahre zu geben. »Fünf gute Jahre«, sagte er zu seiner Frau, »und wenn es bis dann noch nicht läuft …«
    Dorothy war optimistischer. »In ein paar Jahren wird das Monument am Mount Rushmore fertig sein«, überlegte sie. »Dann wird es hier deutlich mehr Verkehr und Umsatz geben.«
    Sie hatte recht, zumindest teilweise. Jedes Jahr nahm der Verkehr in Wall zu, aber ihr Umsatz nicht. Tag für Tag saßen die beiden auf der Veranda vor ihrem Geschäft und sahen zu, wie die Autos vorbeifuhren – und nur wenige davon in der staubigen kleinen Stadt hielten.
    Dann, eines Tages, hatte Dorothy einen Geistesblitz. Mitten im Nirgendwo zu sein hieß, dass all diese Leute, die an ihnen vorbeifuhren, eine lange Strecke durch die heiße, trostlose Prärie hinter sich hatten. »Sie sind durstig«, sagte Dorothy. »Sie wollen Wasser. Eiskaltes Wasser. Und wir haben jede Menge Eis und jede Menge Wasser.«
    Am nächsten Tag malte Ted mehrere Schilder, auf denen KOSTENLOSES EISWASSER angeboten wurde. Dann stellte er seine Schilder jeweils mit etwa einer Meile Abstand an der Straße zu ihrem Geschäft auf. Bis er zurück zu ihrer Drogerie kam, hielten bereits die ersten Leute, um sich kostenloses Eiswasser geben zu lassen – und Dorothy lief sich die Füße wund, um ihren anderen Einkaufswünschen nachzukommen.
    Heute zieht die weltberühmte Drogerie jedes Jahr Millionen von Besuchern an, bis zu zwanzigtausend täglich. Ihre Werbeschilder, wie das, das ich eben gesehen hatte, warenzwar kleiner als herkömmliche Plakatwände, aber was ihnen an Größe fehlte, das machten sie durch Häufigkeit wett, mit Werbesprüchen, die jeden ansprechen sollten.
    Von dem Augenblick an, als ich dieses erste Schild sah, war immer ein Schild in Sichtweite.
    Hol dir einen Milchshake. Wall Drug
    Hol dir ein Malzbier. Wall Drug
    Ganz in der Nähe. Wall Drug
    Kostenloser Kaffee & Donuts für Vietnam-Veteranen.
    Wall Drug
    Noch immer ein Sklave einer alten Werbe-Gewohnheit von mir, zückte ich mein Tagebuch und begann, die Slogans aufzuschreiben. Als ich mit meinen Aufzeichnungen begann, war ich bereits an vier Schildern vorbeigekommen, und ich war immer noch über vierzig Meilen von Wall entfernt.
    Bis zum Abend hatte ich an die neunzehn Meilen zurückgelegt, über weite Strecken hinweg mit nichts als Ebenen, Feldern und Wall-Drug-Schildern. Das letzte Tageslicht schwand bereits, und ich hielt nach einem Platz zum Zelten Ausschau, als etwa fünfzig Schritte hinter mir ein Wagen zum Stehen kam. Die Tür ging auf, und Pamela stieg aus. Sie bedankte sich bei dem Fahrer und schloss die Tür.
    »Alan«, sagte sie.
    Nicht zu fassen, dachte ich. Sie ist wirklich der Inbegriff der Stalker.
    Ich verschob meinen Plan, zu zelten, auf später und ging weiter. Pamela folgte mir. Ich ging vielleicht noch fünf Meilen weit, bis nichts mehr von ihr – oder irgendetwas sonst – zu sehen war, nur noch eine Menge Nichts und die Wall-Drug-Schilder. Es war eine laue Nacht, und ich rollte meine Matteund den Schlafsack unter einer Freeway-Überführung aus. Ich fragte mich, wie Pamela die Nacht zu verbringen gedachte.
    Am nächsten Morgen wachte ich kurz vor Sonnenaufgang auf. Ich sah mich nach Pamela um, konnte sie aber nirgends entdecken, obwohl ich mir sicher war, dass sie irgendwo dort draußen sein musste. Ich fragte mich, wie sie überlebte. Sie hatte keinen Proviant, keinen Schlafsack, keine Luftmatratze, nur eine schlichte Damenhandtasche und schlechte Schuhe. Hatte sie wirklich auf der
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