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So weit die Hoffnung trägt - Roman

So weit die Hoffnung trägt - Roman

Titel: So weit die Hoffnung trägt - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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hin, dass ich den Nationalforst Black Hills jetzt verließ, auch wenn es nicht den Anschein hatte:So weit ich sehen konnte, war die Straße weiterhin von Wald gesäumt. Dazwischen lagen Touristenattraktionen, deren Betreiber offenbar hofften, die Krümel vom Tisch des Mount Rushmore aufzupicken.
    Ich kam am nächsten Weihnachtsladen vorbei (Weihnachten ist in South Dakota offenbar ein Kassenschlager) und an Bear Country USA  – einem Drive-through-Wildpark mit einer Fläche von 250 Morgen, der sich rühmt, die größte Anzahl von Schwarzbären in Privatbesitz zu haben. Vom Highway aus konnte ich einige der Bären sehen, und ich musste wieder an den wilden Grizzly denken, dem ich drei Wochen zuvor in Yellowstone begegnet war. Diese in Gefangenschaft lebenden Bären wirkten dagegen nicht annähernd so lebendig oder gefährlich. Tatsächlich sahen sie ruhiggestellt und ungefähr so munter aus wie mein Vater eine Stunde nach dem Thanksgiving-Dinner.
    Auf diesem Wegabschnitt gab es vielleicht mehr Touristenattraktionen als irgendwo sonst in Amerika. Ich kam an einem Reptilienzoo, einem Wachsmuseum, einem Maislabyrinth und einer Berg-Seilrutsche vorbei, wobei mich Letztere an meinen elften Geburtstag erinnerte.
    Es war ein denkwürdiger Geburtstag. Um genau zu sein, war es unmöglich, ihn zu vergessen. In einem seltenen Moment der Selbstbetrachtung entschied mein Dad, dass ein pflichtbewusster Vater in Ermangelung einer Mutter wenigstens einmal im Leben eine Geburtstagsparty für seinen einzigen Sohn ausrichten sollte. Das war etwas, was er bis dahin noch nie getan hatte, daher war es kein Wunder, dass er keine Ahnung hatte, wie er es anstellen sollte. Ich habe einmal zugesehen, wie mein Vater einen 5 PS -Briggs & Stratton-Motor aus unserem Rasenmäher ausbaute, in seine Bestandteile zerlegte und exakt wieder zusammensetzte. Aberer konnte beim besten Willen keine Geburtstagsparty auf die Beine stellen.
    Zuerst einmal lud er wahllos Kinder aus der Nachbarschaft ein, von denen ich viele gar nicht kannte, darunter zwei Schwestern, deren Familie eben erst aus Ungarn in die USA eingewandert war. Die Mädchen sprachen kein Englisch, zumindest nicht, soweit irgendjemand von uns gehört hatte, und sie hockten die ganze Zeit zu zweit zusammen und flüsterten ängstlich miteinander.
    Mein Vater lieh sich einen Minivan und fuhr mit uns sieben Kindern zu einem Pizza Hut (im Grunde eine ziemlich gute Idee) und dann zu einer Seilrutsche, für die er einen Gutschein gefunden hatte, etwa eine Dreiviertelstunde von unserem Zuhause entfernt.
    Die ungarischen Mädchen wurden auf der Party erst dann richtig wahrgenommen, als sich die jüngere der beiden (keiner von uns erfuhr je ihre Namen) mit ihren langen blonden Haaren irgendwie im Flaschenzug verhedderte und so wortwörtlich mitten auf der Strecke hängenblieb. Dort baumelte sie an die hundert Meter über der Erde, während sie hysterisch schrie.
    Die Rettungsaktion war den Eintrittspreis mehr als wert. Wir und ein paar Dutzend andere aus wartenden Gruppen sahen mit offenem Mund zu, wie sich einer der Mitarbeiter der Seilrutsche ein Paar dicke Handschuhe überstreifte und an dem Seil hinunterrutschte, bis er nah genug an dem Mädchen war, um ihr die Haare mit einer Drahtschere abschneiden zu können. Sobald sie befreit war und weiter an dem Seil hinunterrollte, jubelten und klatschten wir begeistert, und wir alle werteten die Rettungsaktion als großen Erfolg. Wir alle, das hieß, bis auf die Schwestern. Ihren geröteten und tränenverschmierten Gesichtern nach zu urteilen, waren siewohl anderer Meinung. Das ältere der Mädchen begutachtete unter Tränen immer wieder die abgeschnittenen Haare seiner Schwester.
    Als wir nach Hause in unser Viertel kamen, setzte mein Dad die beiden Schwestern in ihrer Auffahrt ab und schoss davon, bevor sie ihre Haustür erreichten. Ich fragte ihn, ob er ihren Eltern nicht sagen sollte, was passiert war, aber mein Dad murmelte nur: »Sie sprechen nicht so gut Englisch« und: »Sie sind aus einem kommunistischen Blockstaat, da sind sie so etwas gewohnt.« Ich grübelte noch jahrelang über seine Bemerkung nach, und jedes Mal, wenn ich irgendetwas über ein kommunistisches Land hörte, stellte ich mir unglückliche Mädchen mit ungleichmäßig abgeschnittenen Haarbüscheln vor.
    Bei Einbruch der Dämmerung war ich kurz vor Rapid City, und wenn ich mit dem Auto unterwegs gewesen wäre, dann wäre ich weiter bis ins Stadtzentrum gefahren, aber ich hatte an
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