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0972 - Finsteres Erbe

0972 - Finsteres Erbe

Titel: 0972 - Finsteres Erbe
Autoren: Oliver Fröhlich
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Jefferson Freykes seufzte schwermütig, lehnte sich gegen die Heckreling und schaute aufs Meer hinab. Die Wirbel des Kielwassers wirkten außerordentlich beruhigend auf ihn.
    Vierzig Tage auf hoher See lagen hinter ihm und der Besatzung der MS PICARD. Nun waren die Frostlagerräume bis auf den letzten Kubikzentimeter gefüllt und es ging nach Hause. Noch knapp vierhundertfünfzig Seemeilen trennten ihn von seiner Frau Suzanne - und von einem Dasein als Landratte.
    Die Aussicht darauf erfüllte ihn mit einem dumpfen Kribbeln, das nicht einmal der Blick aufs Kielwasser ihm zu nehmen vermochte. Er war gerade mal Mitte dreißig und hätte sich noch etliche Jahre auf dem Trawler von Jean-Luc Steward verdingen können. Er liebte die Hochseefischerei und das Meer. Die Bewegungen der Wogen unter dem Schiff, das rhythmische Klatschen der Wellen gegen den Bug, das Gefühl, bei der harten Arbeit jeden Muskel im Körper zu spüren, den Geruch nach Salz und Freiheit.
    Aber noch mehr liebte er Suzanne.
    Sie war schwanger und würde ihm sein erstes Kind nur drei Wochen nach seiner Heimkehr schenken.
    »Ich will nicht, dass unsere Tochter ohne Vater aufwächst!« Suzies Worte, nachdem sie eine Dokumentation über im Atlantik verunglückte Schiffe gesehen hatte, waren ihm durch Mark und Bein gegangen. »Und selbst wenn nichts passiert, bist du manchmal zwei Monate am Stück unterwegs. Willst du das deinem eigenen Fleisch und Blut antun? Willst du das?«
    Dabei legte sie einen Tonfall an den Tag, der ihm zeigte, dass jeder Versuch, sie umzustimmen, zum Scheitern verurteilt war. Also gab er klein bei und versprach ihr, einen ungefährlicheren Beruf zu ergreifen.
    Nur eine allerletzte Fahrt noch. Eine Abschiedstour, wenn man so wollte.
    Und nun neigte sich auch diese dem Ende entgegen. Bye-bye Seemann, welcome Familienvater.
    Obwohl er zu seinem Versprechen stand, beneidete er jeden einzelnen der sechs anderen Crewmitglieder, die es in einigen Tagen wieder hinausziehen würde.
    Hinter ihm brandete Stimmengewirr auf und riss ihn aus den Gedanken. Georgie Laford und Brad Crusher. Dazu aufgeregte Schritte und das Schlagen von Türen.
    »Was zum Teufel ist das?«
    »Wir steuern direkt darauf zu!«
    »Wir müssen abdrehen!«
    Freykes wandte sich um - und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. An den Aufbauten vorbei entdeckte er über dem Meer etliche riesige Tentakel, die hin und her wogten und ihnen zuzuwinken schienen. Wie die Arme eines gigantischen Kraken. Nur bestanden diese nicht aus Fleisch, sondern aus schwarzem Qualm. Sie umspielten einander, verschmolzen zu einer pulsierenden Wolke und formten schließlich ein grinsendes Dämonengesicht von der Größe eines Wolkenkratzers. Nur Augenblicke später verwehte die Fratze und zerfiel erneut in peitschende Rauchtentakel.
    »Was…?«
    Jeff rannte die hundert Fuß an den Schwenkarmen für die Schleppnetze vorbei zum Bug des Trawlers. Und dort schlugen Verwirrung und Furcht in fassungslose Angst um.
    »O mein Gott!«, hauchte er.
    Neben ihm stand Will Cornton und starrte blicklos nach vorne. Stammelnde Laute drangen über die Lippen des alten Seebären, aus denen er mit Mühe »Das schaffen wir nicht« heraushören konnte.
    Die MS PICARD trieb auf ein gewaltiges Loch mitten im Ozean zu. Kein Strudel oder Trichter, sondern ein… ein…
    Freykes fehlten die Worte, das Phänomen zu beschreiben. Am ehesten erinnerte es ihn an einen ringförmigen Wasserfall mit einem Durchmesser von mehreren Hundert Metern. Oder eine riesige Röhre, die senkrecht in die Tiefe führte. Als hätte Gott einen Bohrkern aus dem Atlantik gestanzt.
    Völlig unmöglich!
    Die Rauchtentakel besaßen ihren Ursprung im Zentrum des Schlunds. Aus dessen Abgrund ragten sie hervor und wiegten sich nach einer unhörbaren Musik in ihrem Tanz. Ihre Dichte war so gering, dass man durch sie den Himmel zu sehen vermochte.
    Jefferson blickte hinauf zum Steuerhaus. Hinter den Glasscheiben konnte er das verkniffene Gesicht des Kanadiers Jean-Luc Steward und seines Funkers erkennen. Die beiden Männer redeten aufeinander ein und gestikulierten wild. Etwas abseits stand der Steuermann Dean Troytis und kurbelte an seinem Ruder.
    Freykes hatte den Eindruck, dass sie alles taten, um den Trawler auf einen Ausweichkurs zu bringen. Doch das Schiff schien nicht zu reagieren. Der Sog des Schlunds zerrte es unerbittlich auf den Abgrund zu.
    »Was ist das?«, fand er endlich seine Stimme wieder.
    »Unser Ende!«, hauchte Cornton, ohne den Blick
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