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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
Autoren: Phil Rickman
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Mumford
    All die Leute, die zu Mumford gesagt hatten: Das ist ein Neuanfang.
    Lauter strahlende Gesichter hinter Biergläsern, an denen der Schaum hinablief, ein Handschlag feuchter als der andere. Mumford murmelte, Ah, danke … vielen Dank … sehr nett … klar, mach ich … Nein, ich gehe nirgendwohin … ja … nein … danke.
    Andy Mumford, der das Prinzip des Neuanfangs nicht kapierte – die Erfahrung eines halben Lebens wäre dahin. Andy Mumford, der einfach bloß weitermachen wollte.
    So wie diese Stadt weitergemacht hatte: die älteste Stadt, die er kannte – oder die zumindest am ältesten aussah. Verwinkelt und mit durchhängenden Dächern, und die Leute liebten sie dafür, und niemand sah zu den schiefen Giebeln und den wurmstichigen Balken auf und sagte:
Dieser alte Ort braucht einen Neuanfang
.
    Mumford empfand eine brodelnde Wut, die ihn an eines der ersten Bilder denken ließ, an die er sich erinnern konnte – er hatte es in einem Kinderlexikon gesehen, es hatte das Innere eines Vulkans gezeigt, der kurz vor dem Ausbruch stand. Wie viele Jahre war das jetzt her – vierundvierzig, fünfundvierzig? Grundgütiger.
    Nicht, dass jemals jemand etwas über den Vulkan in Mumford erfahren würde. Darin war er wirklich gut, ihn nicht zu zeigen. Darin, seine Erregung nicht zu zeigen, wenn der Verdächtige im Vernehmungsraum das Falsche zur richtigen Zeit sagte, wenn er in die Falle ging. Darin, nicht zu zeigen, was er in Wirklichkeit gerne mit dem rattenäugigen Vergewaltiger getan hätte, der den Keller voller Pornovideos hatte. Mumford zeigte nie seine Gefühle, weil er Profi war und …
    … unerschütterlich.
    Wahrscheinlich das Netteste, was in all den Jahren in diesem Job über ihn gesagt worden war. Und es stimmte. Unerschütterlich bedeutete auch stark, verlässlich … professionell.
    Nur, was hatte man, verdammt nochmal, von seiner Professionalität, wenn man keine Profession mehr hatte? Was nützte ihm seine Unerschütterlichkeit jetzt noch?
    Mumford ging die Broad Street in Ludlow entlang, die einige Leute für die schönste Straße in der schönsten mittelalterlichen Marktstadt des Landes hielten, aber für Mumford hätte es genauso gut irgendein heruntergekommenes Industriegebiet sein können.
    Es war ein ziemlich warmer Abend, Ostern gerade vorbei, langsam kamen die Touristen in die Stadt. Was sollte er den Sommer über machen? Und dann im Winter und im Herbst und im nächsten Jahr? Vielleicht noch dreißig Jahre lang. Noch einmal die Dauer seines Berufslebens. Dreißig Jahre ohne Sinn.
     
    Aber Ludlow war nicht seine Stadt. Mumford kam aus Leominster in Herefordshire, fast zwanzig Kilometer die A49 runter. Nur waren seine Mom und sein Dad hierhergezogen, um einen kleinen Laden zu übernehmen, nachdem Mumfords alter Herr den Dienst bei der Truppe quittiert hatte («Such dir doch ’nen kleinen Laden, Andy», hatte irgendein Blödmann im Pub gesagt; Andy hätte ihm den Hals umdrehen können), und Gail arbeitete jetzt Teilzeit als Aushilfsschwester im Krankenhaus von Ludlow.
    Denn Gail war immer noch berufstätig.
    Zum wahrscheinlich ersten Mal überhaupt hatte Mumford seine Frau an diesem Morgen zur Arbeit gebracht, und jetzt war er – nach dem längsten Tag seines ganzen Lebens – gekommen, um sie wieder abzuholen. Abends würden sie in eines der schicken neuen Restaurants gehen, die in Ludlow aufgemacht hatten.
    Zur Feier des Tages. Er würde ein paar Gläser trinken können, weil Gail fuhr. Auf den Neuanfang. Unter normalen Umständen hätten sie niemals in so einem Restaurant gegessen. Die Stadt erlebte vermutlich wirklich einen Neuanfang, dachte Mumford. Gutgegangen war es ihr immer, aber jetzt war sie wirklich reich, nachdem diese ganzen Idioten mit ihren affektierten Stimmen und ihrem Silberbesteck aus London hergezogen waren.
    Mumford trug seinen besten Anzug, den er zuletzt angehabt hatte, um beim Chief Constable seine Auszeichnung abzuholen. Gail hatte ihm den Anzug damals zur Arbeit gebracht, und er hatte sich dann im Haus seiner Eltern umgezogen.
    Und deshalb ging Mumford jetzt zu Fuß durch die Stadt … um sich in die richtige Stimmung zu versetzen, um seiner Mom und seinem verdammten Dad gegenüberzutreten, zum ersten Mal, seit die Zentrale seine Dienstmarke wieder an sich genommen hatte. In Zukunft würde er versuchen müssen, wenigstens gut gelaunt zu klingen,
unerschütterlich
würde ihm da nicht weiterhelfen. Es wurde von ihm erwartet, zu einem normalen
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