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Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3

Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3

Titel: Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
Autoren: Y Lee
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Prolog
    Samstag, 11.   Februar 1860
    Limehouse Reach, London
    D er alte Mann war mehr oder weniger barfuß. Er hatte zwei Lederstücke, die mit der Zeit vom vielen Tragen ganz abgewetzt waren, mit Stoffstreifen unter seine Füße gebunden. Es schien allerdings auch kaum noch sinnvoll, seine Füße zu schützen, die grotesk angeschwollen und blau vor Kälte waren, die Zehennägel ganz abgerissen. Dennoch bewegte er sich unaufhaltsam über das rutschige, regennasse Kopfsteinpflaster. Er war in Fetzen zerlumpter Stoff reste eingehüllt und zitterte wie von einer Schüttellähmung. Bettler und Landstreicher waren kein ungewohnter Anblick in den ärmlicheren Stadtteilen, und dennoch hatte dieser Mann etwas an sich, das alle zurückschrecken ließ. Der eine oder andere starrte ihm nach. Wer klüger war, wandte schnell den Blick ab.
    Von alldem merkte der Mann nichts. Er hätte nicht sagen können, wann er das letzte Mal gegessen oder ein Bad genommen oder wo er die letzte ruhige Nacht verbracht hatte. Doch er wusste, was er brauchte. Eswar direkt um die nächste Ecke   – in der letzten, dreckigen Ecke dieser Stadt, die er mit jeder Faser hasste. Sein Hass war das Einzige, was ihm noch etwas bedeutete; das Einzige, was seine Augen gelegentlich aufblitzen ließ. Aber an diesem Abend war es selbst dafür zu kalt. Mit allerletzter Anstrengung bog er in die Gasse ein. Über dem Eingang, auf den er zustrebte   – eher ein Loch als eine Tür   –, befand sich ein kleines Schild, das kaum jemandem auffiel: Awan Surgawi. Das war Malaiisch und hieß Himmlische Wolke. Was für ein Witz. Er kannte es gut. Konnte sich kaum daran erinnern, dass er jemals gleichgültig daran vorbeigegangen wäre. An diesem Abend las er die Aufschrift jedoch zum ersten Mal. So eine verdammte Lüge   – wie alles in dieser dreckigen, kalten, gottverlassenen Stadt London in England.
    Die Münzen waren in den Saum seines Hemdes geknotet. Den ganzen Abend über hatte er ihr Gewicht wie ein Versprechen gespürt, bei jeder Bewegung. Jetzt stolperte er die engen, schiefen Stufen hinunter in eine finstere Hölle, die alles war, nur nicht himmlisch. Dessen war er sich sicher. Aber für ihn war es gut genug.
    Sayed bemerkte ihn im Lichtstrahl der Tür. Mit einem kurzen Blick geleitete er ihn zu einer Strohmatte. Der Mann taumelte darauf zu, fast dankbar, und seine alten Knochen knackten hörbar, als er sich neben der angeschlagenen Wasserpfeife niederließ. Sayed hockte geduldig da, während der Alte mit seinen knotigen Fingern an dem zerlumpten Stoffherumfummelte. Schließlich fielen die Münzen in seine ausgestreckte Hand.
    »Nicht gerade viel, Alter«, stellte Sayed fest.
    Der Mann antwortete nichts. Er hatte in letzter Zeit oft weniger gehabt.
    Sayed seufzte und kniff die Lippen zusammen. »Mal sehen, was sich machen lässt.« Er maß eine knauserige Menge Opium   – stark vermischt mit dem billigsten Tabak   – in den Tonkopf der Wasserpfeife. Nach kurzem Zögern, wobei er den Blick des alten Mannes mied, fügte er noch eine Prise hinzu. Er bedeckte den Tonkopf mit einer kleinen Metallscheibe, dann strich er ein Zündholz an. Als es brannte, drückte er dem alten Mann den schlangenartigen Schlauch in die zitternde Hand. »Warte«, sagte er mit warnendem Unterton. »Noch nicht.«
    Der Alte verharrte ungeduldig, während sich das Wasser erwärmte und sich genug Dampf bildete. Endlich war es so weit und er führte das Mundstück an die Lippen. Seine Lungen gierten schmerzlich nach dem dicken Rauch, und trotz seiner verzweifelten Sucht überkam ihn eine ganz spezielle Gelassenheit. Das war neu   – ein Omen. Als seien seine Nöte endlich vorüber. Als würde er heute Nacht auf gewisse Weise seinem Schicksal gegenübertreten.
    Hirngespinste
, dachte er und dämmerte ein.

Eins
    Derselbe Abend
    Buckingham-Palast
    I hre Majestät Victoria, von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland und Verteidigerin des Glaubens, hatte einen Lampenschirm auf dem Kopf. Mal wieder.
    »Eine Lampe!«, rief Prinz Leopold. Er war sechs und von nüchterner Natur.
    »Das hast du schon mal geraten, Leo«, sagte Prinzessin Helena. »Lass mal jemand anders drankommen.«
    »Ein Heißluftballon?«, fragte Prinz Arthur. Er lag ausgestreckt auf dem Teppich und beobachtete das Scharadespiel halbherzig, während er an einem Schiffsmodell bastelte.
    »Ein guter Versuch, aber das kommt größenmäßig wohl nicht so ganz hin«, sagte die
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