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0045 - Die Werwölfe von Wien

0045 - Die Werwölfe von Wien

Titel: 0045 - Die Werwölfe von Wien
Autoren: Friedrich Tenkrat
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Ratternd rollte der Gelenkwagen der Wiener Verkehrsbetriebe in das Straßenbahndepot. Es war null Uhr fünfzehn. Für Gerd Kabelka war der Tag jetzt erst zu Ende.
    Der Straßenbahnfahrer stoppte den Zug. Wenig später verließ er den Wagen. Er war rechtschaffen müde und sehnte sich nach seinem Bett. Vor dem Depot begegnete er seinem Kollegen Martin Moser.
    »Fertig?« fragte Moser.
    »Fix und fertig«, gab Kabelka zurück.
    »Und wie kommst du jetzt nach Hause? Dein Wagen steht doch immer noch in der Werkstatt, oder?«
    »Leider ja. Aber der Meier hat mir angeboten, mich mitzunehmen.«
    »Den kannst du doch nicht ausstehen.«
    »Was tut man nicht alles dafür, daß man früher ins Bett kommt.«
    »Wenn du möchtest, kannst du mit mir fahren«, sagte Martin Moser.
    »Das wäre mir natürlich bedeutend lieber, aber ist es nicht ein zu großer Umweg für dich?«
    »Wenn du am Praterstern aussteigst, nicht.«
    »Von da hab’ ich’s nicht mehr weit bis zur Rustenschacherallee«, sagte Gerd Kabelka, und er nahm Mosers Angebot erfreut an.
    Kabelka war ein mittelgroßer Mann mit Kraushaar, dürftigem Oberlippenbart und leichten Glotzaugen. Ein geselliger Typ, der im Kollegenkreis zahlreiche Freunde hatte.
    Wenn er Zeit hatte, machte er gern bei den Freizeitveranstaltungen mit, die von den Freunden oder von der Gewerkschaft organisiert wurden. Es gab Sternfahrten, bunte Abende, Heurigenbesuche… Und Gerd Kabelka ließ nur dann etwas aus, wenn er auf der Tramway – wie die Wiener Straßenbahn auch genannt wird – die Kurbel schwingen mußte.
    Martin Moser zeigte dem Kollegen seinen neuen Wagen, einen Lada. Rostrot und glänzend. Kabelka lobte das ausländische Fahrzeug, um Moser eine Freude zu machen.
    Sie setzten sich in den Wagen und fuhren los. Während der Fahrt sprachen sie über das, was sich während des Tages ereignet hatte. Straßenbahner haben sich diesbezüglich immer etwas zu erzählen.
    Die Fahrgäste sind ein geradezu unerschöpfliches Thema. Bald rollte der Lada bereits durch die Dresdner Straße. Bis zum Praterstern war es nicht mehr weit.
    Moser lenkte das Fahrzeug in den Kreisverkehr um das Tegethoff-Denkmal und stoppte schließlich am Beginn der vier Kilometer langen Prater Hauptallee. Links davon reckte sich das dunkle Riesenrad dem schwarzen Nachthimmel entgegen.
    Wo während der warmen Jahreszeit hektisches Leben durch die Adern des Vergnügungsparks pulste, lastete jetzt im Winter eine fast unheimliche Stille.
    Gerd Kabelka öffnete den Wagenschlag. Er reichte Moser die Hand. »Danke fürs Mitnehmen.«
    »Keine Ursache«, erwiderte der Kollege.
    »Vielleicht kann ich mich einmal revanchieren.«
    »Ist schon gut.«
    Kabelka stieg aus. Er warf die Tür mit Gefühl zu, denn er wußte von sich selbst, wie stolz man auf einen neuen Wagen ist. Moser winkte kurz und fuhr dann in Richtung Reichsbrücke-Ersatzbrücke weiter.
    Gerd Kabelka wandte sich um und marschierte los. Die Kastanienbäume, die die Prater Hauptstraße bis zum Lusthaus säumten, waren bereits größtenteils entlaubt.
    Der Straßenbahnfahrer fand, daß es nichts Trostloseres gab als Bäume ohne ihr Blattwerk, diesen herrlichen grünen Schmuck. Mit zügigen Schritten marschierte Kabelka nach Hause.
    Er konnte im nachhinein nicht mehr genau feststellen, wann er zum erstenmal das seltsame Gefühl gehabt hatte. Er wurde sich der Gänsehaut erst nach einer Weile bewußt.
    Wodurch wurde sie hervorgerufen? Gerd Kabelka warf einen Blick über die Schulter zurück. Er war allein in der langen, einsamen Allee. Jedenfalls konnte er niemanden sehen.
    Erfahrungsgemäß war um diese Jahreszeit zu dieser vorgerückten Stunde kaum noch jemand unterwegs. Kabelka ging hier nicht zum erstenmal nach Hause. Er fragte sich unwillkürlich, ob er nicht den anderen, etwas weiteren Weg zwischen den Häusern hätte einschlagen sollen.
    Aber dann redete er sich ein: Wer sollte dir schon etwas tun? Du trägst die Straßenbahneruniform. Jeder kann sofort erkennen, daß du bloß auf dem Heimweg bist, daß bei dir nichts zu holen ist. Also wenn du befürchtest, von jemandem überfallen zu werden, kannst du diese Angst gleich wieder vergessen.
    Doch die Angst blieb.
    Sie nistete sich in Kabelkas Unterbewusstsein ein. Unbewusst ging er schneller. Sein Atem beschleunigte sich. Sein Herz klopfte rascher. Ärgerlich schalt er sich deswegen einen Idioten. Aber er vermochte nichts an der Tatsache zu ändern, daß ihm nicht mehr ganz geheuer war.
    Immer häufiger schaute er
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