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Silver Moon

Silver Moon

Titel: Silver Moon
Autoren: Elea Noir
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Licht spendete, damit ich etwas sehen konnte.
    Mein Bruder lag bäuchlings auf dem Bett und rührte sich nicht. Vorsichtig schlich ich zu ihm. »Kai? Kai?« Er stöhnte leise und ich bekam es mit der Angst zu tun. Vorsichtig setzte ich mich zu ihm auf die Bettkante. Sein dunkles Haar hing ihm übers Gesicht und voller Entsetzen bemerkte ich Blutspuren. Sie waren auf der Bettdecke, dem Laken, und sogar am Boden vor dem Bett befanden sich Blutspritzer. Als meine Augen ihrer Spur folgten, sah ich, dass sich dicke Blutstropfen durchs ganze Zimmer zogen. Mein Herz blieb beinahe stehen und ich begann zu zittern, als ich die Decke zur Seite schob und Kais blutgetränktes T-Shirt sah. Reflexartig schlug ich beide Hände vor dem Mund zusammen. Ich war einiges gewohnt, wir wurden oft geschlagen, aber Kais Verletzungen waren schlimmer denn je. Ohne weiter nachzudenken, lief ich nach unten, um den Notfallkoffer aus dem Badezimmer zu holen. Ich nahm auch die Verbandsmaterialien mit, die ich heute im Wald dabeigehabt hatte, und rannte anschließend wieder die Treppe hinauf. Kai lag noch genau so in seinem Bett, wie ich ihn vor zwei Minuten verlassen hatte. »Kai? Kai – hörst du mich? Sag etwas, bitte – irgendetwas!«, flehte ich. Aber er antwortete nicht, alles blieb ruhig. Eine Totenstille hüllte mich in Furcht, bis plötzlich ein Satz das Schweigen brach.
    »Ich bringe ihn um! Nicht mehr lange, dann bringe ich den Alten um!«, keuchte Kai heiser und mir liefen Tränen über die Wangen.
    »Kannst du dich bewegen?«, wollte ich von ihm wissen, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Kais Kopfschütteln war kaum zu sehen, aber offenbar konnte er sich nicht bewegen. Ich schniefte und wischte mir die Tränen weg, dann band ich meine langen braunen Haare zusammen, damit sie nicht im Weg waren, und schob Kais blutdurchnässtes T-Shirt hoch. Beim Anblick seiner Verletzungen begann ich erneut zu weinen.
    Sein Rücken war über und über mit Blut besudelt. Unter dem roten, dicken Lebenssaft quollen offene Wucherungen hervor, die auf harte Schläge mit einem dumpfen Gegenstand zurückzuführen waren. Ich schluchzte, als ich eine Schale mit Wasser füllte. Zaghaft wusch ich das Blut von seinem Oberkörper. Auf der gesäuberten Haut wurde das ganze Ausmaß seines Martyriums sichtbar. Einige Rippen schienen gebrochen zu sein. Kais Rücken glich einem angeschwollenen dunkelblauen und lilafarbenen Etwas, das nicht mehr menschlich aussah. Am rechten Schulterblatt war eine der unzähligen Wunden dermaßen tief, dass sie schnellstens genäht werden musste – sie klaffte zu weit auseinander und ich konnte den Blutstrom nicht stoppen. Im Krankenhaus hatte ich es täglich mit vielen Verletzungen zu tun, vor allem, wenn ich in der Notaufnahme arbeitete, aber bisher war es mir erspart geblieben, einen solch malträtierten Rücken sehen zu müssen.
    »Was um alles in der Welt hat er mit dir gemacht? Was nur?«, fragte ich fassungslos. Es dauerte eine Weile, bis Kai stockend antwortete.
    »Man braucht dafür nur Handschellen und einen Rohrstock. Kette jemandem die Hände zusammen und schlage so fest und so lange zu, wie du nur kannst – dann kommt das dabei heraus«, flüsterte er qualvoll. Erst jetzt bemerkte ich, dass er Handschellen trug. Meine Eingeweide verkrampften sich; Kai war vollkommen wehrlos gewesen, als Vater ihn dermaßen zurichtete.
    »Kai, du brauchst dringend ärztliche Hilfe! Wir müssen sofort in ein Krankenhaus! Du hast einige Rippenbrüche, wenn nicht schlimmer. Aber ich kann keinen Krankenwagen rufen, das würde Vater bemerken. Bitte versuche dich irgendwie aufzusetzen und komm mit mir nach unten. Ich fahre dich in die Klinik; dort hat ein Freund Nachtdienst, er ist Chirurg – er wird dir helfen können und seinen Mund halten … hoffe ich.« Kai stöhnte laut, als er sich auf die Seite drehte. Ich half ihm dabei, sich aufzusetzen, und hielt seine zusammengeketteten Hände. »Du schaffst das, ich stütze dich auf dem Weg nach unten und fahre mit dem Auto nah an die Haustür, aber wir sollten uns beeilen!«
    »Ihr werdet nirgendwo hingehen und schon gar nicht in ein Krankenhaus!«, vernahm ich die kalte Stimme meines Vaters. Ich fuhr erschrocken zusammen. Betrunken und schwankend stand er in der Tür und sah wütend auf uns herab; er rülpste lautstark und drohte mir.
    »Verschwindest du mit Kai oder rufst einen Arzt, werde ich dasselbe, was ich ihm angetan habe, mit Nino und Mia machen!« Dann warf er mir den Schlüssel für
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