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Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Sieben Siegel 10 - Mondwanderer

Titel: Sieben Siegel 10 - Mondwanderer
Autoren: Kai Meyer
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lange, bevor er sie erreichte und mit seinen Klauen zerfetzte; Menschen, die sich in abgelegenen Regionen versteckten und sich dabei doch nur selbst in die Enge trieben; ganze Kontinente, auf denen nichts mehr lebte, die überflutet waren von schwarzem Schattenfleisch; und dann wieder der Mann im Mond selbst, höher als der höchste Berg, sodass die letzten Satelliten aus dem All sein Bild aufnahmen, eine pechschwarze Gestalt, die mit weiten Schritten Wüsten und Wälder und Meere durchquerte, immer auf der Suche nach noch mehr Zerstörung, noch mehr Tod.
    Eine Gestalt, die sich auf dem gewaltigsten Gipfel der Erde aufrichtete, die Arme zum Himmel reckte und ein triumphierendes Brüllen ausstieß …
    »Nein!«, entfuhr es Lisa. »Wir müssen ihn aufhalten!«
    Die Umrisse im See waren noch immer vage und fließend, aber es gab keinen Zweifel, dass sie mit jeder Minute an Festigkeit gewannen, zu einem Albtraum geronnen.
    »Wir müssen den Energiefluss unterbrechen.«
    Chris hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie endlich eine Antwort auf die Frage erhielten, warum man sie hierher gebracht hatte.
    Schwarze Fangarme explodierten aus der Oberfläche, rissen dabei ein Dutzend der fließenden Gesichter in Stücke und ringelten sich mit zuckenden Spitzen auf Lisa und Chris zu.
    »Vorsicht!« Chris gab Lisa einen Stoß, der sie rückwärts die Kraterböschung hinabrollen ließ, an scharfen Felsen vorbei, die sie entzweigeschnitten hätten, wäre sie ihnen im Sturz zu nahe gekommen. Als sie unten aufkam, weich gefedert in einem Bett aus grauem Mondstaub, war Chris schon bei ihr, halb stolpernd, halb stürzend, und half ihr auf die Beine. Gemeinsam blickten sie zurück zu der Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatten. Wie ein Nest öliger Würmer peitschten dort die Schattententakel umher, zu kurz, um sie am Fuß der Kraterwand zu erreichen.
    Lisa schaute sich um. In der Ferne, dort, wo sie die Oberfläche des Mondes betreten hatten, waren weitere Besucher der Schattenshow aufgetaucht. Fast zwanzig Jungen und Mädchen standen eng beieinander, viel zu verstört, um sich von der Stelle zu bewegen. Im Gegensatz zu Lisa und Chris wussten sie nicht, was mit ihnen geschehen war. Vermutlich glaubten sie, Opfer einer besonders schlimmen Massenhalluzination zu sein. Wahrscheinlich war es am besten so. Keiner von ihnen hatte den Versuch unternommen, den Fußspuren zu folgen, die Lisa und Chris im Staub hinterlassen hatten.
    Lisa blickte nach rechts. Dort verlief, in etwa drei Metern Höhe, der gleißende Lichtstrang. In unregelmäßigen Abständen pulsierten besonders helle, flirrende Energieklumpen daran entlang und verschwanden jenseits der Kraterwand.
    »Okay«, stieß Lisa mit einem Seufzen aus. »Ich weiß, was wir tun. Komm mit!«
    Sie löste sich von Chris und lief voraus, bis sie genau unterhalb des Lichtbündels stand. Sie blickte nach oben und spürte auf ihrem Gesicht deutlich eine sanfte Wärme, fast tröstlich in dieser Ödnis aus Staub und Schrecken.
    »Irgendwer muss es ja tun«, sagte Lisa entschlossen und sah Chris an, der neben ihr zum Stehen kam. »Du musst mir helfen. Ich werde mich auf deine Schultern stellen.«
    Chris begriff, auf was sie hinauswollte. »Das kannst du nicht tun!«
    »Anders geht’s nicht. Du bist zu schwer, als dass ich dich tragen könnte.«
    »Aber du weißt doch überhaupt nicht, was passieren wird!«
    Sie lächelte schwach. »Wenn man eine Stromzufuhr unterbricht, schaltet sich das Gerät ab. Vielleicht ist es hierbei ja nicht anders.«
    Chris wirkte immer hilfloser. »Aber das ist … das ist … kein blöder Toaster. Du könntest dabei sterben.«
    »Das werden wir alle, und zwar ziemlich bald, wenn wir nicht irgendetwas unternehmen.« Lisa deutete auf die peitschenden Schattententakel, die allmählich länger zu werden schienen und sich den Hang herabschlängelten. »Komm schon, Chris.« Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Wenn ich Kyra wäre, würdest du nicht so lange rumdiskutieren.«
    »Kyra ist auch eine Hexe. Zumindest eine halbe.« Chris war zugleich wütend und verzweifelt.
    »Ich will einfach nicht, dass dir was passiert«, sagte er leise.
    Lisa legte den Kopf schräg und sah Chris in die Augen. Ganz kurz streichelte sie ihm über die Wange, bevor sie sich vorbeugte und ihn auf den Mund küsste. Ziemlich lange. Länger, als sie es sich in diesem Moment eigentlich leisten konnten.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis Chris sie schließlich losließ und »Okay«
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