Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben
Autoren: Torsten Sträter
Vom Netzwerk:
für Taxen.
    Das war, als würde man bei C&A die Rolltreppe mit der Bemerkung sperren, diese sei nur für Augenärzte. Ich erstand ein Bier mit dem Bild der Band auf dem Becher und dem scharfen Hinweis, dass »Zwei Euro Pfand auf dem Becher« seien. Hu, dachte ich, krass, und jetzt?
    21:00 Uhr
    Von meiner Wolke aus beobachtete ich den Auftritt von DEPECHE MODE.
    Furios!
    Hammerheftig!
    Legendär!
    Von hier oben aus nicht für fuffzig Pfennig zu erkennen!
    Dann erhob sich das Pärchen vor mir; sie wippten mit den Füßen, sie schwenkten die Arme, kurz vor der Ekstase, noch kürzer davor, von mir notgeschlachtet zu werden. Sie waren für den Innenraum geboren worden, oder besser noch für eine Fernsehübertragung des Konzertes auf VOX, wobei sie Chips essend die Wohnungseinrichtung zerschunkeln konnten.
    Aber sie waren hier, in meinem Fadenkreuz, meiner Sicht, meinem Leben.
    Vermutlich wohnten sie in Düsseldorf und hatten Anwohnerparkplätze.
    Ich verschwand noch vor der Zugabe.
    Als ich meinen Becher abgeben wollte, um das Pfand zurückzuerhalten, sagte der Typ hinterm Tresen:
    Â»Was soll ich damit? Beim nächsten Eros-Ramazzotti-Konzert rausgeben? Du Idiot?«
    Ich verließ grußlos den Ort des Geschehens.
    An meinem Scheibenwischer hing ein Zettel.
    Â»HIER PARKEN kostet VIEL GELD! WAS DENKEN Sie sich dabei? WAS?«
    Der Zettel war mit Schrödinger unterschrieben.
    Ich checkte den Straßennamen, füllte die Abonnentenkarte aus und warf sie in den nächsten Postkasten, nachdem ich festgestellt hatte, dass Frau Schrödinger Lisbeth gerufen wurde, wobei ich mir vorstellte, wie sie die ganzen Nicole-Scherzinger-Poster, die sie für die nächsten zwölf Monate aus der FHM trennen durfte, neben die Anrichte aus Eiche nagelte.
    So.
    Ich bin nun seit drei Tagen in DORFPROZELTEN. Netter Fleck.
    Für Dortmund hat’s nicht ganz gereicht.
    Also bleib ich hier und trinke die Spezialität des Ortes, einen Kohlrabilikör, der hier auch zum Beizen der Jägerzäune verwendet wird.
    Ich reise ab, sobald meine Hand ruhig genug ist.

Die drei Prüfungen
    I ch trage mich schon länger mit der Überlegung, meiner Familie ein literarisches Denkmal zu setzen, so nach und nach, bis ich einen ganzen Vergnügungspark papiergewordener, sonderbarer Gestalten habe. Dafür ist Literatur ja da.
    Und das, was ich mache, auch.
    Mein kleiner Bruder zum Beispiel ist nicht sonderlich nachtragend. Generell kann er nur als charakterlich gefestigt bezeichnet werden, mehr noch: Er ist der Fels in einer Brandung, die ihm öfter mal bis knapp unter die Augenlider schwappt. Die meisten Sachen machen ihm nichts aus.
    Nach Jahren intensiver Überlegungen und Beobachtungen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dies an den DREI PRÜFUNGEN liegt.
    Er legte sie im Abstand von einigen Jahren ab.
    Das war auch besser so.
    Ein weniger stabiler Mensch als mein Bruder wäre von den Ereignissen zerrissen worden. Er aber marschierte einfach hindurch und wurde zum IRONMAN der Familie.
    Mein Bruder sieht sowieso aus wie IRONMAN, vor allem, wenn er in einen Smart steigt, denn mein Bruder ist recht beleibt, weswegen es immer wirkt, als würde er eine Rüstung anlegen. Egal.
    Bitte urteilen Sie selbst. Und denken Sie nicht, ich hätte mir irgendwas ausgedacht. Das hier ist True-Story-Zeug. Reality-Stuff. Also echt.
    Ich bin deswegen geneigt, die folgenden Ereignisse im Stile Ferdinand von Schirachs zu verfassen, also schlicht, wohltuend karg und ohne jede Wertung.
    ERSTE PRÜFUNG
    1996. Unna.
    Draußen dämmert es. Mein Bruder und seine Frau sitzen zu Tisch, als über ihnen das Esszimmerlicht erlischt.
    Â»Die Birne ist in den Wicken«, sagt die Frau volkstümlich. Mein Bruder erhebt sich, sein Kennerblick geht nach oben: Eine der Halogenleuchten ist durchgebrannt.
    Â»Nimm sie raus und schau, wie viel Watt die hat«, sagt die Frau.
    Â»Die Leuchte dürfte ziemlich heiß sein.«
    Â»I wo. Das ist Halogen. Die bleiben kühl.«
    Mein Bruder nickt sanft, obwohl seine Stirn in Falten liegt. Er langt nach oben.
    Das Stück totes Glas ist zu diesem Zeitpunkt bereits etwas abgekühlt und so beläuft sich die Temperatur auf grade mal noch etwa 2000 Grad.
    Im Esszimmer ist ein Zischen zu hören, als sich das defekte Leuchtmittel tief in die Hand meines Bruders schmurgelt. Ungefähr zwei Sekunden blickt er sanft auf seine Hand, dann setzt ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher