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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben
Autoren: Torsten Sträter
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löscht mein Bruder die Bilder auf der Digitalkamera.
    DIE DRITTE PRÜFUNG
    2010. Alicante (Spanien).
    Der Abwechslung halber im Stil eines Drehbuchs geschrieben.
    Alicante, Abend, Außen
    EIN McDonald’s DRIVE-IN
    BRUDER sitzt mit seinen DREI KINDERN und DER FRAU im VW BULLI.
    (Er ist Anhänger der Theorie, nach welcher man eine Sprache nicht von Grund auf erlernen muss, um problemlos weiterzukommen. Er hat bereits gute Erfahrungen mit SI! und HOLA! gemacht. Das reicht ihm.)
    Die Gegensprechanlage des DRIVE-IN geht an.
    UNSICHTBARER SPANIER:
    Â»Akustisch völlig verrauschter erzspanischer Einheimischen-Slang erster Güte.«
    BRUDER, forsch brüllend:
    Â»Unquaddrodelibraconchesca! Dos. DOS!«
    UNSICHTBARER SPANIER:
    Â»Akustisch völlig verrauschter erzspanischer Einheimischen-Slang erster Güte.«
    BRUDER:
    Â»SI! Dos. Dos. Dos.«
    UNSICHTBARER SPANIER:
    Â»Akustisch völlig verrauschter erzspanischer Einheimischen-Slang erster Güte mit einer Menge Fragezeichen in der Betonung, vor allem zum Ende hin.«
    BRUDER:
    Â»SI! Dos. DOS CON QUADRO DE LIBRA! SI! Dos. DOS.«
    UNSICHTBARER SPANIER:
    Â»Akustisch völlig verrauschtes dreckiges Lachen.«
    BRUDER, völlig in seinem Element:
    Â»MACH FERTIG! SI! CON VIERTELPFÜNDER ALLEMAGNE … ALEMAN HIER! SI?«
    KIND 1:
    Â»Und ein Shake.«
    BRUDER:
    Â»Was fürn Shake?«
    KIND 1:
    Â»Egal, Papa.«
    BRUDER, zur Sprechanlage:
    Â»QUADDRO BACON-SHAKE, SI! SI?«
    Dann sagt er etwas ganz Dummes. Aber immerhin sagt er es laut und hängt vier »SI!« an.
    Stille.
    Nichts zu hören.
    Mein Bruder fährt zum ersten Fenster vor und wird gebeten, kurz am Randstreifen zu warten.
    Nach exakt gestoppten 39 Minuten bringt das vom Lachen ganz verquollene Personal 102 Cheeseburger, 4 x Chicken Nuggets und ein TRANSFORMERS-Spielzeug. Mein Bruder öffnet den Mund, klappt ihn aber wieder zu, als weitere vier Mann 9 Papp-Paletten mit Fanta bringen. Entweder hatten die an der Kasse jedes DOS wörtlich genommen, oder Schlimmeres.
    In Villa Riba sind sie noch am Spülen, in Villa Bacho schon fertig, und in Alicante wälzen sich die Leute von McDonald’s am Boden, weil irgendein Idiot in beschissenstem Hütchenspielerspanisch eine hirnverbrannte Bestellung aufgegeben hat. Mein Bruder hat gezahlt. Ohne eine Miene zu verziehen. Si.
    Klar könnte man sagen, dies waren die selbstprovozierten Erlebnisse eines Bekloppten, aber wir reden hier immer noch von meinem Bruder, also Vorsicht. Seitdem ist er ruhiger geworden. Sehr ruhig. Er ist immer bis an die Grenze zum Koma entspannt.
    Von Zeit zu Zeit teste ich es.
    So zum Beispiel neulich in Lüdenscheid. Wir mussten in der Innenstadt was mit dem LKW entladen. Es war Markt, höllisch voll. Wir sprangen aus dem Führerhaus. Mein Bruder sagte: »Hömma, bevor wir abladen, muss ich eben ’ne Toilette suchen.«
    Â»Ist gut«, erwiderte ich.
    Er entfernte sich, um nach einem Geschäft mit öffentlichen Klos Ausschau zu halten. Als er etwa 50 Meter entfernt war, rief ich ihm zu:
    Â»BRUDER?«
    Er drehte sich um. Viele andere Menschen taten das auch.
    Â»WAS MUSST DU DENN?«
    Ich sah, dass er die Augen schloss.
    Â»MUSST DU GROSS? GROSS? ODER WAS? KLEIN?«
    Er blickte mich einfach an.
    Â»KLEIN?«, brüllte ich.
    Er schüttelte sanft den Kopf.
    Â»GROSS DANN?«
    Er nickte. Ich wusste Bescheid.
    Lüdenscheid auch.
    Mann, wie ich diesen Kerl liebe.

FREDO
    F ür mich steht und fällt eine Veranstaltung stets mit dem Catering. Ich erwähne das nur, weil ich einerseits zwar klasse finde, wenn all diese Köstlichkeiten zur Verfügung stehen:
    Gulasch, Pommes, Rührei, Spätzle, diese kleinen Wunderbrötchen mit Körnergedöns, noch kleinere, offensichtlich von Tom Ford designte Schnittchen mit Bärlauch-Rucola-Gorgonzolapesto an rundgefönter Lachskresse, vier Sorten Remoulade (mit Gurke, mit Schafskäse, mit bester Absicht, und eine, die im Dunklen leuchtet), Backkartoffeln, ein vatikanartiger Dampfkessel mit überkäster Super-Pasta, und Getränke aller Art.
    Andererseits: Bevor man nicht vorgetragen hat, Finger weg davon! Das Leben als Vorleser ist nämlich kein leichtes, und wer sich wie ich in Hamburg mal mit soßeverschmiertem Hemd in den einzigen sentimentalen Text gerülpst hat, dass das Kristall am Lüster klimperte, ahnt: stilles Wasser und eine halbe gekochte
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