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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben
Autoren: Torsten Sträter
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gäbe.
    Nochmal.
    DÜMPELFELD liegt im Postleitzahlenbereich 53.
    Generell gute Richtung. Ich fuhr los.
    Sowenig ich nach Dümpelfeld wollte, so gut war die grafische Darstellung des Weges.
    Musste ich abfahren, wurden so ziemlich die Originalschilder eingeblendet, fuhr ich in einen Tunnel, gab’s eine DU BIST IM TUNNEL-Tunnelgrafik, vermutlich für den Fall, dass ich mit blickdichten Scheiben fuhr und mich im dusteren Fahrzeuginneren fragte: »Ob ich wohl grad im Tunnel bin?«
    Irgendwann befuhr ich einen der Autobahnrastplätze an der Strecke – Orte, die mir stets wie das Weltraum-Lloret-de-Mar MOS EISLEY aus STAR WARS vorkommen: mitten im Nirgendwo, bevölkert von marodierenden Allesfressern, brandgefährlich für Mensch und Tier. Alle gesellschaftlichen Regeln sind außer Kraft gesetzt. Ein gekochtes Ei kostet zwei Euro, sehr spezielle Fernfahrer-Pornos mit Namen wie »MELKMASCHINEN VIII« – auf denen in Vinyl gerollte Russinnen so die Beine spreizen, dass ihre Knie die Heftklammern des Einbandes berühren – stehen direkt neben der HÖRZU, und die Toilettenfrauen sehen aus wie Herbert Fux.
    Erst aufs Klo. Ah, Sanifair, das Phantasialand für Menschen, die mal müssen.
    Draußen im Wagen zeigte die Navi-App in diesem Moment vermutlich eine stilisierte braune Brezel an.
    Dann brauchte ich noch eine Schachtel Zigaretten, betrat die Tanke und rempelte versehentlich einen Mann an.
    Eigentlich waren es drei Mann, stellte ich fest, als sie sich umdrehten, aber sie trugen nur eine Hose, ein paar Schlappen mit Korksohle und einen Kopf. Was für ein Gigant; in seinem Kosakenbart klebten Hackfragmente einer vermutlich in mitternächtlicher Raserei verschlungenen Frikadelle. Ich nickte ihm zu, um meinen Rempler auszubügeln, und er legte mir seine riesige Hand auf die Schulter. »Rostock–Köln«, sagte er roh. »Weißt du, was das für eine Strecke ist, Bube? Rostock–Köln? Das ist eine beschissene Wallfahrt. Und weißt du, was ich den verstörten Kölnern rankarre?«
    Ich schüttelte devot den Kopf.
    Â»Hollywoodschaukeln. Ich bringe diesem derangierten Haufen von Trinkern Hollywoodschaukeln.« Er beugte sich dicht zu mir runter. »Ich kann sie hinten im Laderaum stöhnen hören«, raunte er. »Diese in Plastik gepackten, knarrenden Hollywoodschaukeln. In jeder Kurve lachen sie über mich. Sie schlappen mit ihren Stoffdächern, die Luder. Da sind Seerosen drauf und so abgewichste Hawaiilandschaften.«
    Ich tastete zu der Stelle meines Oberschenkels, an der in meinen Tagträumen meine halbautomatische Waffe baumelte; nur die Jeansnaht war da, gerade und ruhig und völlig nutzlos, sieht man vom Vorteil einer nicht idiotisch aufklaffenden Hose ab.
    Â»Diese Luder«, stimmte ich ihm zu, während ich einen Schritt zurück machte und gegen das Regal mit überteuerten Zigarettenanzünderadaptern stieß. Sackgasse.
    Â»Ich werde drauf pissen«, setzte er mich verschwörerisch ins Bild. »Ich werde die ganze Fuhre vollstrullen.« Er hielt einen Zwölferpack Caprisonne hoch. »Hiermit. Und weißt du warum?«
    Â»Logo«, sagte ich, und niemand war gespannter als ich, wie ich diese schwachsinnige Antwort aufzulösen gedachte. Aber er kam mir zuvor.
    Â»Weil der ganze Tag scheiße war. Der komplette 32-Stunden-Tag, den ich nun unterwegs bin, Bursche. Die Staus, die ganzen Arschlöcher in ihren Seifenkisten, die wie Käfer vor meinem LKW herkrabbeln. Und die Drahtschlampen hinten, die keuchen und knarren. Ich werde es ihnen besorgen, weil ich wusste, dass einer wie du kommt.«
    Er trat zur Seite und gab den Blick auf die Mautstation frei.
    Â»Ich hab mich vertippt, als du mich angerempelt hast, du Suppenkasper.«
    Â»Empfindliches Display, was?«, gab ich leise zurück, und er lächelte strahlend.
    Einen Moment lang sah er mich an wie einen verlorenen Bruder, voller Zuneigung und neu gewonnener Zuversicht. Ich strahlte zurück, als hätte ich eine Halogenleuchte im Schädel.
    Â»Ich werde auch dich vollstrullen«, sagte er dann.
    Ich drehte mich um und stieß gegen einen alten Mann, der gerade in der GALA blätterte, dabei aber ganz klar aufs ANALJOURNAL spähte.
    Seine Flüche folgten mir.
    Ich hielt mich 59 Kilometer gut, meistens ganz rechts und stellte fest, dass die Gegend auf dem Handydisplay viel schöner aussah als in echt.
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