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Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben

Titel: Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben
Autoren: Torsten Sträter
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Trotzdem behielt ich die realen Schilder im Auge, und auch als die Stimme der Navigation ungehalten wurde und im späteren Verlauf sogar schneidend und spöttisch, ignorierte ich die Kommandos betreffs Dümpelfeld und erreichte irgendwann Düsseldorf, hängte mich hinten in den Stau der DEPECHE MODE-Fans und war guter Dinge.
    Die Navigation schwieg plötzlich eingeschnappt, zeigte mir aber vorwurfsvoll meine Durchschnittsgeschwindigkeit von 2 km/h an.
    300 Meter vor der Ausfahrt trumpfte sie dann mit »in 300 Metern rechts ab, dann wenden und vielleicht mal den korrekten Weg nehmen, das ist hier immerhin auch für mich Arbeit« auf, aber das war mir gleichgültig.
    Dann sah ich die Halle und ließ ein »HA-HAAAA!« durch den Innenraum meines Fahrzeugs schallen, wobei ich durch die Rückspiegel der anderen Wagen – die meisten mit EXCITER-Aufklebern auf der Heckscheibe – erspähte, dass meine Leidensgenossen es mir nachtaten.
    Ich hatte aus eigener Kraft bis zur Halle gefunden – ohne Navigation, die mich wohl nicht zur Halle, aber nach Halle gebracht hätte.
    Als ich in die fragliche Straße einbog, kamen mir sehr viele Wagen entgegen, und die meisten Fahrer sahen aus wie eine Mischung aus Robert Smith von The Cure und dem aufgelösten Tuschekasper von Edward Munchs »Der Schrei«.
    Ich fand schnell heraus, warum sie die Gesichter verzogen: Ein paar Hundert Meter weiter hatte sich ein orangefarbener Kerl mit Kelle aufgebaut, der mit der Hand kurbelnde Bewegungen machte. Ich brüllte ihm durch die Scheibe zu, dass ich ihm nicht helfen könne: elektrische Fensterheber. Fand er nur mäßig lustig.
    Â»Hier lang nur für Taxen«, bellte er durch den schmalen Fensterschlitz, den ich ihm gönnte.
    Â»Warum denn?«
    Â»Nur für T-A-X-E-N«, buchstabierte er.
    Â»Ja doch. Das Wort hab ich verstanden, nicht jedoch den Sinn.«
    Â»Dreh um, Kerl! TAXEN NUR!«
    Ich drehte um und zog ein Gesicht, das mich wie eine Mischung aus dem Tuschekasper von Edward Munchs »Der Schrei« und einem Typen aussehen ließ, der weder mit seiner Navigation noch mit Primaten in grellen Plastikwesten klarkam.
    Ich fand ein Gässlein, drei Kilometer entfernt vom Austragungsort des Konzertes.
    Kopfsteinbepflastert, still und von Parkgelegenheiten gesegnet lag es im Licht meiner Scheinwerfer. Irgendwo miaute eine Katze.
    Mein Plan hatte Gestalt angenommen: Am Arsch des Planeten parken, ein Taxi nehmen und den Fahrer anweisen, kurz beim Kellenmann zu halten.
    Dann »NUR FÜR LEUTE MIT HIRN HIER! MIT H-I-R-N! DREH UM!« brüllen.
    Dann DEPECHE MODE.
    Ich parkte ein. Das Fahrzeug hinter mir hatte was Knallrotes auf der Ablage.
    Einen Anwohnerparkausweis.
    Ich schritt die anderen Fahrzeuge ab: Anwohnerparkausweise.
    Ich kramte im Handschuhfach und fand die Abonnentenkarte einer alten FHM-Ausgabe. Machte sich nicht schlecht im Halbdunkel, aber ich ging auf Nummer sicher und häufte benutzte Taschentücher über die Karte.
    Ich fischte mir ein Taxi.
    Am Wendepunkt des T-A-X-I-Mannes hatte der Schichtwechsel stattgefunden, also fuhren wir durch, ohne dass ich meine kleine, schmierige Rache bekam.
    Ich brauchte ein Bier.
    Oberrang. Ein tolles Wort. Klingt hoch und mächtig.
    Aber Oberrang bedeutet unterm Hallendach oder wie es Han Solo in STAR WARS formulierte: »Wenn es einen hellen Punkt im Universum gibt, bist du hier am weitesten davon entfernt.«
    Ich verstehe die Begeisterungsfähigkeit von Menschen, die sich Karten für den Innenraum kaufen. Schulter an Schulter mit Gleichgesinnten kippt man sich gegenseitig Bier über die Jacke oder schwenkt Feuerzeuge zu »Personal Jesus«. Man geht aus sich raus, lässt fünfe sehr gerade sein und fällt auch nicht um, wenn man will oder muss, weil die anderen Fans einen zwangsläufig stützen.
    Genau diese Klientel hatte sich in Form eines Pärchens mit mir im Oberrang eingefunden, er mit Lederhose zu Polohemd und Oberlippenbart, seine Gattin ganz Batikgespenst.
    Irgendein Parfum klammerte sich an den beiden fest, ein bitterer Duft von etwas, auf dessen Flasche vermutlich »Hornbach pour Homme« stand. Sie hätten so gern in den Innenraum gewollt, waren aber durch eine Grausamkeit des Lebens auf dem Dach der Welt gelandet, und ich wurde dafür bestraft.
    Ich ging raus und stellte mich für ein Bier an, während ich die Taxisache nicht aus dem Kopf bekam.
    Nur
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