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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
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Der Tag, an dem es geschah
DREW
    Ich war derjenige, der die Bestellung aufnahm. Es hätte auch jeder andere sein können. Ich weiß nicht, wieso ich mich schuldig fühle. Aber ich war derjenige.
    »Pete’s Pizza. Drew hier«, sagte ich und zwinkerte Kayla zu. Sie blies sich den schwarzen Pony aus den blauen Augen und lächelte. Selbst mit der albernen weißen Baseballkappe, die wir bei Pete tragen mussten, sah sie umwerfend aus. Ich fragte mich, ob ihr das bewusst war. Wahrscheinlich schon. Kayla nahm ein paar Salamischeiben, legte sie auf eine kleine silberne Waage und verstreute die Scheiben dann auf dem Pizzateig. Die Soße und den Käse hatte sie bereits verteilt.
    »Hallo«, meldete sich ein Mann. »Ich würde gerne was bestellen.« Seine Stimme klang ganz normal. Die Polizei hat mich mehrmals danach gefragt. Hatte er einen Akzent? Klang er betrunken? Gelassen? Wütend? War er alt? Oder jung? Hörte er sich an wie ein Raucher? Habe ich seine Stimme erkannt?
    Auf jede dieser Fragen habe ich dieselbe Antwort: Ich weiß es nicht.
    Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich kann ihnen kein Stück weiterhelfen.
    Immer, wenn ich das sage, seufzen sie oder schütteln den Kopf und stellen mir dann die nächste Frage. Als könnte ich mich an etwas Wichtiges erinnern, wenn sie mich nur oft genug auf verschiedene Arten fragen.
    Aber das tue ich nicht.
    Ich nahm mir ein Bestellformular und einen Stift. »Okay, was darf es sein?«
    »Drei Große. Sag mal, fährt das Mädchen im Mini Cooper heute Abend die Pizzas aus?«
    Er meinte Gaby. Gaby hatte mit Kayla getauscht, weil Kayla am Freitag freinehmen wollte. Kayla und ich waren an dem Tag allein. Miguel hatte um halb acht Feierabend gemacht, nachdem der Andrang vom Abendessen vorbei war.
    Kayla fuhr die Pizzas aus, weil ich kein Auto habe. An diesem Abend hatte sie bisher nur ein Mal losgemusst. Es war Mittwoch, da war nicht viel Betrieb. Und es war schon acht. Wir machen um zehn zu.
    Pete’s Pizza gehört zu einer kleinen Einkaufsmeile. Auf der einen Straßenseite gibt es einen Blumenladen, Starbucks und eine Videothek. Auf der anderen ein Eiscafe und Subway. Kayla hat mal bei Subway gearbeitet. Aber Pete zahlt fünfzig Cent mehr die Stunde und für Lieferungen extra. Dazu kommt noch das Trinkgeld. Kayla hat jede Menge bekommen. Sie hat immer gesagt, sie liefere gerne aus.
    Sie sagt. Sie sagt immer, sie liefere gerne aus. Ich sollte nicht in der Vergangenheit reden.
    Kayla sagt.
    Ich ging davon aus, dass der Anrufer nach Gaby fragte, weil er das letzte Mal, als Gaby ihm die Pizza brachte, mit ihr geflirtet hatte. Eifersucht versetzte mir einen Stich. Ich habe nichts mit Gaby laufen. Wir arbeiten lediglich zusammen. Ich habe mit niemandem etwas laufen. Aber dieser Kerl am Telefon wirkte selbstsicher genug, um mit Pizzamädchen zu flirten. Er war der Typ, der in einer Kinoschlange hinter einem hübschen Mädchen stand und dann am Ende für sie die Eintrittskarte bezahlte.
    Ich antwortete ihm nicht direkt. Stattdessen sagte ich nur: »Einer unserer Mitarbeiter wird mit Ihrer Bestellung in fünfundvierzig Minuten bei Ihnen sein.«
    Dass er nach Gaby fragte, ist das Einzige, was ich der Polizei sagen konnte, aber das hilft ihnen nicht weiter. Gaby konnte ihnen auch nichts dazu sagen.
    »Also, welche möchten Sie?«, fragte ich.
    »Drei Fleischmonster.«
    Fleischmonster sind übel. Sie sind mit Würstchen, Pfeffersalami, Hackfleisch und Räucherwurst belegt. Nach einem Stück glänzen die Lippen vor Fett. Und wenn man später in den Spiegel sieht, entdeckt man einen orangefarbenen Kreis um seinen Mund. Selbst wenn man sich den Mund mit einer Serviette abgewischt hat.
    Er sagte, er hieße John Robertson. Er nannte mir seine Telefonnummer und Adresse. Ich sagte ihm, das Ganze würde 35,97 Dollar kosten, und legte auf.
    »Bestellung!«, rief ich aus Scherz, als wäre höllisch viel los. Dann holte ich drei Pizzaböden aus dem Kühlraum. Kayla und ich machten uns an die Arbeit. Wir standen nebeneinander und brachen nicht gerade in Hektik aus, waren aber auch nicht langsam. Es war einfach nur ein gleichmäßiger, angenehmer Arbeitsrhythmus. Wir hatten schon oft genug zusammen gearbeitet und mussten daher nicht groß darüber reden, wer was zu tun hatte. Einmal griffen wir gleichzeitig nach der Chappi - auch Würstchen genannt - und unsere Hände berührten sich. Wir sahen uns an und lächelten unbeholfen. Dann zog ich meine Hand zurück und ließ ihr den
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