Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
kennen seinen Namen nicht, und die Welkers und Wellers, die ich noch erlebt habe und die jetzt tot sind, kannten ihn auch nicht. Nicht daß wir nichts über ihn wüßten. Er hat seine Briefe aus Straßburg geschickt, also wohl auch in Straßburg gelebt und war Jurist, vielleicht Syndikus oder Anwalt oder auch Professor. Als in den achtziger Jahren die Interessengemeinschaften aufkamen und Weller & Welker sich dafür zu interessieren begann, hat er für sie geklärt, wie das rechtlich gemacht wird und was es rechtlich bedeutet. 1887 hat er überlegt, ob er nach Heidelberg kommt; es gibt einen Brief, in dem er sich nach Häusern und Wohnungen erkundigt. Aber statt lesbarer Unterschriften haben wir von ihm nur Kürzel, ein C oder L oder Z, und ob das für den Nach- oder für den Vornamen steht, ist offen, weil er sich mit Weller und Welker geduzt hat, man sich damals aber auch duzen konnte, wenn man sich mit dem Nachnamen anredete.«
    »So viele Juristen kann es damals in Straßburg nicht gegeben haben. Hundert, zweihundert – was meinen Sie?«
    »Lassen Sie’s im fraglichen Zeitraum insgesamt sechshundert gewesen sein. Mit den passenden Initialen waren es höchstens hundert, und von denen scheidet die Hälfte aus, weil sie nicht die ganze Zeit über dort gelebt haben. Den verbleibenden fünfzig nachzugehen ist viel Arbeit, aber es ist machbar. Der alte Welker fand, es stehe nicht dafür, und ich fand es auch, und daß Bertram die Geschichte des Hauses ohne den Namen des stillen Teilhabers nicht schreiben kann, ist dummes Zeug. Und warum kommt er damit nicht zu mir, sondern zu Ihnen?« Er redete sich in Rage. »Überhaupt – warum kommt niemand zu mir? Ich sitze im Keller, und niemand kommt zu mir. Bin ich ein Maulwurf, eine Ratte, eine Kellerassel?«
    »Sie sind ein Dachs. Schauen Sie sich Ihren Bau an: Höhlen, Gänge, Ein- und Ausgänge, in einen Berg von Büchern und Akten gegraben.«
    »Ein Dachs«, er schlug sich auf die Schenkel, »ein Dachs! Kommen Sie, ich zeige Ihnen meinen anderen Bau.« Er stürmte in den Garten, winkte ab, als ich ihn auf die offengelassene Küchentür hinwies, zog das Garagentor auf und ließ den Wagen an. Es war eine BMW-Isetta, ein Gebilde aus den fünfziger Jahren, bei dem die Vorderräder weiter auseinanderstehen als die Hinterräder, die Vorderseite zu-gleich die Tür ist und mit dem Lenkrad aufschwenkt und man zum Fahren keinen Auto-, sondern nur einen Motorradführerschein braucht. Ich setzte mich neben ihn, und er knatterte los.
    Das alte Lager war unweit vom Schloßplatz, ein langgezogener, zweistöckiger Bau mit Büros und Apartments, dem man seine ehemalige Funktion nicht mehr ansah. Die Weilers hatten im 18. Jahrhundert, als sie noch Kommissions- und Speditionskaufleute waren, hier ihre Pfälzer Station gehabt, mit Kontor, Ställen, Dachboden und zweistöckigem Keller. Im unteren Keller hatte Schuler die Kartons mit den ungesichteten Akten gelagert, im oberen füllten die gesichteten die Regale an den Wänden. Wieder roch es säuerlich und modrig; zugleich lag angenehm der Geruch des Leims in der Luft, mit dem Schuler seine Aktenmappen zusammenklebte. Es gab helles Tageslicht; die Wiese draußen war so abgesenkt, daß für ein großes Fenster Platz war. Hier arbeitete Schuler, und hier setzte er mich an den Tisch. Auf mich wirkte die Aktenfülle wie das heilloseste Durcheinander. Aber Schuler wußte genau, wo welche Akte war, griff zielsicher zu, schnürte Aktenbündel um Aktenbündel auf und breitete seine Funde vor mir aus.
    »Herr Schuler!«
    »Sehen Sie her, das ist …«
    »Herr Schuler!«
    Er ließ von den Akten ab.
    »Sie müssen mir nicht beweisen, daß das, was Sie mir gesagt haben, stimmt. Ich glaub’s Ihnen.«
    »Und warum glaubt er mir nicht? Warum hat er mir nichts gesagt, mich nicht gefragt?« Er redete sich wieder in Rage, fuchtelte mit Händen und Armen und verbreitete Wellen von Schweißgeruch.
    Ich versuchte, ihn zu begütigen. »Die Bank hatte eine Krise, Welker hat seine Frau verloren und mußte sich von seinen Kindern trennen – Sie können nicht erwarten, daß er dabei auch noch Sinn für Akten und Archive hat. Auf die Suche nach dem stillen Teilhaber hat er mich nur geschickt, weil er mich zufällig getroffen hat.«
    »Meinen Sie?« Es klang zugleich zweifelnd und hoffnungsvoll.
    Ich nickte. »Leicht kann das alles für ihn nicht sein. Er kommt mir nicht besonders robust vor.«
    Schuler sann seinen Erinnerungen nach. »Ja, die späten Kinder sind die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher