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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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Brigittes Freundin, von Viernheim nach Beerfelden umgezogen, hatte zur Einweihung der Wohnung zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Die Kinder mögen sich, die Freundinnen redeten und redeten, und als wir aufbrachen, war es Nacht.
    Kaum fuhren wir, begann es zu schneien, große, nasse, schwere Flocken. Die schmale Straße führte durch den Wald auf die Höhe. Es war einsam, kein Auto vor oder hinter uns und keines, das uns begegnet wäre. Die Flocken fielen dichter, in den Kurven schlingerte der Wagen, an den steilen Stellen drehten die Räder durch, und die Sicht reichte gerade, daß ich den Wagen auf der Straße halten konnte. Manu, der munter geplappert hatte, verstummte, und Brigitte faltete die Hände im Schoß. Nur ihr Hund Nonni schlief, als wäre nichts. Die Heizung wurde nicht recht warm, aber mir stand der Schweiß auf der Stirn.
    »Wollen wir nicht halten und warten, bis …«
    »Es kann Stunden schneien, Brigitte. Wenn wir erst einmal eingeschneit sind, sitzen wir fest.«
    Ich sah das liegengebliebene Auto nur, weil es seine Scheinwerfer angelassen hatte. Sie strahlten über die Straße wie eine Barriere. Ich hielt.
    »Soll ich mitkommen?«
    »Laß mal.«
    Ich stieg aus, schlug den Kragen der Jacke hoch und stapfte durch den Schnee. Ein Mercedes hatte sich an einer Kurve in einen abzweigenden Weg verirrt und war beim Versuch, wieder auf die Straße zu finden, in den Graben geraten. Ich hörte Musik, Klavier mit Orchester, und sah hinter beschlagenen Fenstern im beleuchteten Inneren zwei Männer, einen auf dem Fahrersitz und einen schräg dahinter auf der Rückbank. Wie ein gestrandeter Dampfer, dachte ich, oder ein Flugzeug nach der Notlandung. Die Musik spielt weiter, als wäre nichts, aber die Reise ist zu Ende. Ich klopfte beim Fahrer ans Fenster. Er ließ die Scheibe einen Spalt runter.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Bevor der Fahrer antworten konnte, beugte sich der andere rüber und machte die hintere Tür auf. »Gott sei Dank. Kommen Sie, setzen Sie sich.« Er lehnte sich zurück und machte eine einladende Handbewegung. Aus dem Inneren des Wagens strahlte Wärme und roch es nach Leder und Rauch. Die Musik war so laut, daß er mit erhobener Stimme sprechen mußte. Er wandte sich an den Fahrer: »Stell bitte die Musik leiser!«
    Ich stieg ein. Der Fahrer ließ sich Zeit. Langsam streckte er den Arm zum Radio, griff nach dem Knopf, drehte ihn, und die Musik wurde leiser. Der Chef wartete mit gerunzelter Stirn, bis sie erlosch.
    »Wir kommen nicht flott, und das Telephon geht nicht. Ich fürchte, wir sind hier am Ende der Welt.« Er lachte bitter, als widerführe ihm nicht nur ein technisches Mißgeschick, sondern eine persönliche Kränkung.
    »Sollen wir Sie mitnehmen?«
    »Können Sie schieben helfen? Wenn wir’s aus dem Graben schaffen, schaffen wir’s auch weiter, der Wagen ist nicht kaputt.«
    Ich guckte zum Fahrer und erwartete, daß er etwas sagen würde. Er war doch wohl für das Schlamassel verantwortlich. Aber er sagte nichts. Im Rückspiegel sah ich seine Augen auf mich gerichtet.
    Der Chef hatte meinen fragenden Blick bemerkt. »Am besten setze ich mich ans Steuer, und Gregor und Sie schieben. Wir brauchen, wenn …«
    »Nein.« Der Fahrer wandte sich um. Ein älteres Gesicht und eine gedämpfte, heisere Stimme. »Ich bleibe am Steuer, und ihr schiebt.« Ich hörte einen Akzent, konnte ihn aber nicht identifizieren.
    Der Chef war jünger, aber ich sah seine zarten Hände und schmale Gestalt und konnte mir auf den Vorschlag des Fahrers keinen Reim machen. Aber der Chef widersprach nicht. Wir stiegen aus. Der Fahrer ließ den Wagen an, wir stemmten uns dagegen, die durchdrehenden Räder sirrten und ließen Schnee, Tannennadeln, Blätter und Erde stieben. Wir stemmten weiter, es schneite weiter, die Haare wurden naß und die Hände und Ohren klamm. Dann kamen Brigitte und Manu, ich hieß sie auf den Kofferraum sitzen, und als auch ich mich draufsetzte, griffen die Räder, und mit einem Ruck war der Wagen aus dem Graben.
    »Gute Fahrt!« Wir grüßten und gingen.
    »Halt!« Der Chef lief uns nach. »Wem verdanke ich die Rettung?«
    Ich fand eine Visitenkarte in der Jackentasche und gab sie ihm.
    »Gerhard Selb.« Er blies die Flocken von der Karte und las laut. »Private Ermittlungen. Sie sind … sind Sie Privatdetektiv? Dann habe ich was für Sie, schauen Sie bei mir vorbei.« Vergebens suchte er in seinen Taschen nach einer Karte. »Welker ist mein Name, die Bank am Schloßplatz in Schwetzingen.
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