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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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hatte.
    »Wir werden bald unser zweihundertjähriges Bestehen feiern, ein großes Ereignis, zu dem sich Vater eine Geschichte unseres Hauses wünscht. Seit einer Weile arbeite ich daran, wenn mir die Geschäfte Zeit lassen, und da Großvater historisch geforscht und Aufzeichnungen hinterlassen hat, ist meine Arbeit nicht schwer, bis auf einen Punkt.«
    Er zögerte, strich sich die Locken aus der Stirn, lehnte sich zurück und warf dem unbeweglich sitzenden Samarin einen kurzen Blick zu. »1873 brachen die Wiener und die Berliner Börse ein. Die Depression dauerte bis 1880, lange genug, daß die Tage der Privatbankiers gezählt waren; es begann die Zeit der Aktienbanken und Sparkassen. Manche Privatbankiers, die die Depression überlebten, haben ihre Häuser in Aktiengesellschaften umgewandelt, andere haben fusioniert, einige aufgegeben. Unser Haus hat sich gehalten.«
    Er zögerte wieder. Ich werde nicht mehr ungeduldig. Früher wär ich’s geworden. Ich hasse es, wenn Leute nicht zur Sache kommen.
    »Unser Haus hat sich nicht nur gehalten, weil Urgroßvater und Ururgroßvater gut gewirtschaftet haben und die alten Wellers auch. Wir hatten seit Ende der siebziger Jahre einen stillen Teilhaber, der bis zum Ersten Weltkrieg rund eine halbe Million eingebracht hat. Das mag Ihnen nicht nach viel klingen. Aber es war eine Menge. Und eigentlich kann ich die Geschichte unseres Hauses nicht schreiben, ohne über den stillen Teilhaber zu schreiben. Aber«, diesmal zögerte er wegen des dramatischen Effekts, »ich weiß nicht, wer es war. Vater kennt den Namen nicht, Großvater erwähnt ihn nicht in seinen Aufzeichnungen, und ich habe ihn in den Unterlagen auch nicht gefunden.«
    »Ein sehr stiller Teilhaber.«
    Er lachte und sah für einen Moment jugendlich-spitzbübisch aus. »Es wäre schön, wenn Sie ihn zum Sprechen brächten.«
    »Sie wollen …«
    »Ich will, daß Sie herausfinden, um wen es sich bei dem stillen Teilhaber handelt. Den Namen, von wann bis wann gelebt, Beruf und Familie. Hatte er Kinder? Und sitzt eines Tages ein Urenkel vor mir und fordert seinen Anteil?«
    »Die stille Teilhaberschaft wurde nie beendet?«
    Er schüttelte den Kopf. »In Großvaters Aufzeichnungen ist von ihr nach 1918 einfach nicht mehr die Rede. Weder davon, daß noch Geld eingebracht wurde, noch von Abrechnungen und Auszahlungen. Irgendwie wird sie ihr Ende gefunden haben, und ich rechne nicht wirklich mit dem Urenkel, der plötzlich seinen Anteil verlangt. Wer bei uns 1918 einen großen Batzen Geld stehen hatte, hätte seitdem genug Anlaß gehabt, ihn sich wieder zu holen.«
    »Warum stellen Sie keinen Historiker an? Wahrscheinlich machen jedes Jahr Hunderte Examen, finden keine Arbeit und suchen gerne verschwundene Teilhaber.«
    »Ich hab’s versucht, mit Geschichtsstudenten und pensionierten Geschichtslehrern. Das Ergebnis war jammervoll. Ich wußte danach weniger als davor. Nein«, er schüttelte den Kopf, »ich versuche es bewußt mit Ihnen. In gewisser Weise tun sie dasselbe, die Historiker und die Detektive, finden beide verschüttete Wahrheiten und gehen doch ganz verschieden vor. Vielleicht bringt Ihr Vorgehen mehr als das der Geschichtler. Nehmen Sie sich ein paar Tage Zeit, schauen und hören Sie herum, versuchen Sie den einen oder anderen Weg. Wenn’s nichts wird, dann wird’s nichts – das verkrafte ich schon.« Er nahm Scheckbuch und Füllhalter vom Tisch aufs Knie. »Was darf ich als Vorschuß ausschreiben?«
    Ein paar Tage lang schauen und hören – wenn er dafür bezahlen wollte, konnte er es haben. »Zweitausend. Ich nehme hundert pro Stunde, plus Spesen, und Sie kriegen am Ende eine detaillierte Rechnung.«
    Er gab mir den Scheck und stand auf. »Lassen Sie bald von sich hören. Und wenn Sie nicht anrufen, sondern vorbeischauen, freue ich mich. Ich bin die Tage hier.«
    Samarin begleitete mich die Treppe hinab und durch den Schalterraum. Als wir in der Einfahrt standen, nahm er mich am Arm. »Herrn Welkers Frau ist letztes Jahr gestorben, und er arbeitet seitdem wie besessen. Die Geschichte der Bank hätte er sich nicht auch noch aufladen sollen. Sie rufen bitte mich an, wenn Sie etwas haben oder brauchen. Was ich ihm abnehmen kann, möchte ich ihm abnehmen.« Er sah mich auffordernd an.
    »Wie passen die Namen Welker, Weller und Samarin zusammen?«
    »Sie meinen, wie Samarin zu Weller und Welker paßt? Gar nicht. Meine Mutter war Russin, hat im Krieg als Dolmetscherin gearbeitet und ist bei meiner Geburt
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