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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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Können Sie sich’s merken?«

3
Beruf ist Beruf
    Ich bin nicht am nächsten Tag nach Schwetzingen gefahren und nicht am übernächsten. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht fahren. Unsere Begegnung auf der Hirschhorner Höhe bei Nacht und Schnee und seine Aufforderung vorbeizuschauen – es erinnerte mich an die Verabredungen, die man auf Reisen und im Urlaub trifft. Das Wiedersehen geht immer daneben.
    Aber Beruf ist Beruf, und ein Auftrag ist ein Auftrag. Ich hatte mich im Herbst für Tengelmann um die Krankmeldungen der Verkäuferinnen gekümmert und die eine und andere falsche Kranke erwischt. Das war so befriedigend, wie als Straßenbahnkontrolleur Schwarzfahrer zu jagen und zu stellen. Im Winter kam kein Auftrag. Es ist nun mal so, daß man einen Privatdetektiv über siebzig nicht als Bodyguard anheuert oder über mehrere Kontinente hinter gestohlenen Juwelen herschickt. Sogar der Ladenkette, die ihren krank gemeldeten Verkäuferinnen nachspionieren will, imponiert ein junger Bursche mit Handy und BMW, von der Polizei ins private Sicherheitsgeschäft gewechselt, mehr als ein alter Kerl mit einem alten Opel Kadett.
    Nicht daß ich im Winter ohne Aufträge nichts zu tun gefunden hätte. Ich habe mein Büro in der Augustaanlage geputzt, die Holzdielen gewachst und gebohnert und die Fensterscheibe gewaschen. Die Scheibe ist groß; früher war das Büro ein Tabakladen und das Fenster das Schaufenster. Ich habe meine Wohnung um die Ecke in der Richard-Wagner-Straße aufgeräumt und meinen Kater Turbo, der zu dick wird, auf Diät gesetzt. Ich habe Manu in der Kunsthalle die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko, im Reiss-Museum die Suebenheimer Hügelgräber und im Landesmuseum für Technik und Arbeit die elektrischen Stühle und Betten gezeigt, mit denen man im 19. Jahrhunden Bandwürmer aus dem Darm treiben wollte. Ich bin mit ihm in die Sultan-Selim-Camii-Moschee und in die Synagoge gegangen. Im Fernsehen haben wir verfolgt, wie Bill Clinton wiedergewählt und vereidigt wurde. Im Luisenpark haben wir die Störche besucht, die in diesem Winter nicht nach Afrika gezogen, sondern dageblieben waren, und am Rhein sind wir bis zum Strandbad gelaufen, dessen geschlossenes Restaurant weiß, unnahbar und würdevoll dalag wie das Kasino eines englischen Seebads im Winter. Ich machte mir vor, ich genösse, endlich alles das zu machen, was ich immer hatte machen wollen, wozu ich aber keine Zeit gefunden hatte.
    Bis mich Brigitte fragte: »Warum gehst du so oft einkaufen? Und warum nicht tags, wenn die Geschäfte leer sind, statt abends, wenn alle sich drängen? Willst du was erleben, wie die alten Leute?« Sie fragte weiter: »Und ißt du deswegen in der Nordsee und im Kaufhof zu Mittag? Früher hast du, wenn du Zeit hattest, gekocht.«
    Ein paar Tage vor Weihnachten kam ich die Treppe zu meiner Wohnung nicht hoch. Mir war, als wäre mir ein Eisen um die Brust gelegt, der linke Arm tat weh, und der Kopf war auf eigentümliche Weise zugleich ganz klar und benommen. Ich setzte mich am ersten Absatz auf eine Treppenstufe und saß, bis Herr und Frau Weiland kamen und mir unters Dach halfen, wo ihre und meine Wohnung einander gegenüberliegen. Ich legte mich aufs Bett und schlief ein, verschlief einen und noch einen Tag und auch den Heiligen Abend. Als Brigitte, zuerst verärgert und dann besorgt, am ersten Feiertag nach mir sah, stand ich zwar auf, aß von ihrem Sauerbraten und trank ein Glas Roten. Aber wochenlang blieb ich müde und konnte mich nicht anstrengen, ohne in Schweiß und außer Atem zu geraten.
    »Das war ein Herzinfarkt, Gerd, und nicht einmal ein kleiner, sondern schon ein mittlerer. Du hättest auf die Intensivstation gehört.« Mein Freund Philipp, Chirurg an den Städtischen Krankenanstalten, schüttelte den Kopf, als ich ihm später davon erzählte. »Mit dem Herzkasper ist nicht zu spaßen. Wenn du ihn ärgerst, nippest du ab.«
    Er schickte mich zu seinem internistischen Kollegen, der einen Schlauch von meiner Leiste in mein Herz schieben wollte. Einen Schlauch von meiner Leiste in mein Herz – ich lehnte dankend ab.

4
Ein stiller Teilhaber
    Die Frau, die mich bei der Badischen Beamtenbank bedient und betreut, kannte den Namen Welker und die Bank am Schloßplatz in Schwetzingen. »Weller & Welker. Die älteste Privatbank im Pfälzer Raum. In den siebziger und achtziger Jahren hat sie ums Überleben kämpfen müssen und hat es geschafft. Sie wollen uns doch nicht untreu werden?«
    Ich rief an und
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