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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord
Autoren: Schlink
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gestorben. Ich bin bei Welkers als Pflegekind aufgewachsen.« Er sah mich weiter auffordernd an. Erwartete er von mir die Bestätigung, daß ich mich nicht an Welker, sondern an ihn wenden würde?
    Ich verabschiedete mich. An der Tür war kein Griff, aber daneben ein Knopf; ich drückte ihn, die Tür ging auf, ließ mich hinaus und fiel hinter mir mit schmatzendem Geräusch ins Schloß. Ich blickte über den leeren Platz und freute mich am Auftrag und am Scheck in der Tasche.

5
Gotthard-Tunnel und Anden-Bahn
    In der Bibliothek der Universität Mannheim fand ich eine Geschichte des Bankwesens in Deutschland, drei dicke Bände mit Text, Zahlen und Kurven. Ich konnte sie ausleihen und mitnehmen, setzte mich in mein Büro und las. Draußen rauschte der Verkehr, wurde es dämmrig und dunkel. Der Türke, der nebenan Zeitungen, Zigaretten und allerlei Plunder verkauft, schloß seinen Laden, sah mich am Schreibtisch unter der Lampe sitzen, klopfte und wünschte mir einen guten Abend. Ich ging erst nach Hause, als mir die Augen weh taten, und saß wieder über den Büchern, ehe der Türke seinen Laden öffnete und die Kinder, seine ersten Kunden, auf dem Schulweg Kaugummi und Gummibärchen kauften. Am Nachmittag war ich durch.
    Ich habe mich für das Bankwesen nie interessiert, warum auch. Was ich verdiene, geht auf mein Girokonto, was ich Tag für Tag brauche, geht davon runter, und runter gehen auch die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Lebensversicherung. Manchmal bleibt über einen längeren Zeitraum mehr Geld auf dem Konto, als runtergeht. Dann kaufe ich ein paar Aktien der Rheinischen Chemiewerke und lege sie ins Depot. Dort liegen sie unberührt vom Steigen und Fallen ihrer Kurse.
    Tatsächlich sind das Bankwesen und seine Geschichte alles andere als langweilig. In den drei Bänden fand ich auch das Bankhaus Weller & Welker gelegentlich erwähnt; es entstand Ende des 18. Jahrhunderts, indem der Schwabe Weller, Kommissions- und Speditionskaufmann in Stuttgart, und der Badener Welker, Bankier eines Vetters des Kurfürsten, sich zusammentaten und zunächst aufs Geld-und Wechsel- und bald auch aufs Geschäft mit Staatsanleihen und Wertpapieren verlegten. Ihr Bankhaus war zu klein, als daß es bei bedeutenden Vorhaben eine führende Rolle hätte spielen können. Aber es war so solide und renommiert, daß die größeren Banken es gerne beteiligten, etwa bei der Errichtung der Rheinischen Chemiewerke, der Emission der Mannheimer Stadtanleihe von 1868, die dem Bau der Eisenbahn Mannheim-Karlsruhe diente, und der Finanzierung des Gotthard-Tunnels. Eine besonders glückliche Hand hatte Weller & Welker im Lateinamerikageschäft, von brasilianischen und kolumbianischen Staatsanleihen bis zur Beteiligung an der Eisenbahn Vera Cruz-Mexiko und der Anden-Bahn.
    Das ist eine Geschichte, die sich sehen lassen kann, auch neben den Geschichten anderer privater Banken, die nicht nur Geschichte haben, sondern Geschichte gemacht haben: die Bethmanns, Oppenheims und Rothschilds. Der Autor bedauerte, über das private Bankwesen nicht mehr schreiben zu können. Die Banken hielten ihre Archive verschlossen und machten sie allenfalls Wissenschaftlern zugänglich, die in ihrem Auftrag für Jubiläums- und Festschriften forschten und schrieben. Daß sie ihre archivalischen Bestände an die öffentlichen Archive abgäben, komme kaum vor, eigentlich nur bei Liquidationen oder Stiftungen.
    Ich holte ein Päckchen Sweet Afton aus dem Aktenschrank, in dem ich meine Zigaretten verschließe, damit ich, wenn ich rauchen will, nicht nur das Päckchen aufmachen, sondern aufstehen, zum Aktenschrank gehen und ihn aufschließen muß. Brigitte hofft, daß ich so weniger rauche. Ich zündete mir eine an. Welker hatte nur von seinen Unterlagen gesprochen, nicht von einem Archiv seines Hauses. Hatte das Bankhaus Weller & Welker sein Archiv aufgelöst und die Bestände abgegeben? Ich rief das Staatsarchiv in Karlsruhe an, und der für Industrie und Wirtschaft zuständige Beamte war noch bei der Arbeit. Nein, die archivalischen Bestände des Bankhauses Weller & Welker lägen nicht bei ihnen. Nein, sie lägen auch in keinem anderen öffentlichen Archiv. Nein, ob das Bankhaus ein Archiv habe, könne er mit letzter Gewißheit nicht sagen; die privaten Archive seien nur unvollständig erhoben und erfaßt. Aber es müsse mit dem Teufel zugehen, wenn ein privates Bankhaus …
    »Und wir reden nicht über irgendein Bankhaus. Weller & Welker haben sich vor bald
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