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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug
Autoren: Schlink
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Hölle des Wartens herausreißen. Aber ich höre meinen Anrufbeantworter auch aus der Ferne regelmäßig ab und werde Sie auf Wunsch alsbald zurückrufen.
    Salger.

    Ich holte den Sambuca, die Kaffeedose und das Glas aus dem Schreibtisch und schenkte mir ein. Dann saß ich im Sessel, ließ die Bohnen zwischen den Zähnen knacken und das klare, ölige Zeug Zunge und Kehle hinunterrollen. Es brannte, und der Rauch der ersten Zigarette tat in der Brust weh. Ich sah durch das ehemalige Schaufenster hinaus. Es regnete in dichten, grauen Schnüren. Im Rauschen des Verkehrs war das Zischen der Reifen auf der nassen Straße lauter als das Brummen der Motoren.
    Nach dem zweiten Glas zählte ich die fünfzig Hundertmarkscheine. Ich drehte und wendete den Umschlag, der ebenso wie der Brief keine Adresse von Salger trug. Ich rief die angegebene Bonner Telephonnummer an.
    »Sie sind mit dem automatischen Anrufbeantworter der Telephonnummer 41 17 88 verbunden. Ihre Nachricht, die von beliebiger Länge sein kann, wird innerhalb von 24 Stunden abgehört und beantwortet. Bitte sprechen Sie jetzt.«
    Ich rief auch die Auskunft an und war nicht erstaunt, daß für Salger in Bonn keine Telephonnummer vermerkt war. Vermutlich stand er auch nicht im Adreßbuch. Das war grundsätzlich in Ordnung, der Mann schützte seine Privatsphäre. Aber warum mußte er seine Privatsphäre gegen den eigenen Privatdetektiv schützen? Und warum konnte er nicht so kooperativ sein, mir die Heidelberger Adresse seiner Tochter mitzuteilen? Außerdem waren 5000 Mark viel zuviel.
    Dann fühlte ich, daß noch etwas im Umschlag war. Leos Bild. Ich holte es heraus und lehnte es an den kleinen steinernen Löwen, den ich vor Jahren aus Venedig mitgebracht habe und der auf meinem Schreibtisch das Telephon und den Anrufbeantworter, Füllhalter, Bleistifte und Notizen, Zigaretten und Feuerzeug bewacht. Ein überhell ausgeleuchtetes Automatenphoto auf billigem Papier. Es mußte vier oder fünf Jahre alt sein; Leo sah mich an, als habe sie sich gerade entschlossen, erwachsen zu werden, nicht mehr Mädchen, sondern Frau zu sein. Noch etwas lag in ihren Augen: eine Frage, eine Erwartung, ein Vorwurf, ein Trotz – ich konnte es nicht deuten, aber es rührte mich an.

2
Jugend dolmetscht
    Die Polizei hat ihre Routineprozedur, wenn Angehörige jemanden vermissen und verlangen, daß der Apparat in Aktion tritt. Sie fertigt ein Protokoll mit mehreren Durchschriften, läßt sich Photos geben, befestigt diese mit Heftklammern am Protokoll und an den Durchschriften, verschickt den Vorgang an die Landeskriminalämter, die ihn einordnen und ablegen, und wartet. Zunehmend wird der Vorgang statt in der Akte im Computer abgelegt. Aber hier wie dort ruht er, bis etwas passiert, gefunden und gemeldet wird. Nur bei Minderjährigen und beim Verdacht einer Straftat geht die Polizei an die Öffentlichkeit. Wer erwachsen ist und nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommt, kann seine Zelte abbrechen und aufschlagen, wann und wo er will, ohne daß es die Polizei interessiert. Wäre auch noch schöner.
    Ich werde in Vermißtenfällen beauftragt, damit ich es mir schwerer mache als die Polizei. Ich rief beim Studentensekretariat der Universität Heidelberg an und erfuhr, daß Leonore Salger nicht mehr als Studentin geführt wurde. Sie war im Wintersemester eingeschrieben gewesen, hatte sich aber zum Sommersemester nicht zurückgemeldet: »Das muß nichts heißen. Manchmal vergessen’s die Studenten einfach und denken erst wegen der Arbeit oder beim Examen wieder dran. Nein, die Adresse kann ich Ihnen nicht geben, weil sie doch nicht mehr eingeschrieben ist.«
    Arbeit – das brachte mich darauf, beim Kanzler der Universität anzurufen, mich mit der Personalstelle, Abteilung Studentische Hilfskräfte verbinden zu lassen und zu fragen, ob Leonore Salger hier geführt werde.
    »Wer bitte möchte diese Auskunft haben? Nach unseren Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten …« Sie sagte es so streng, wie sie mit ihrem piepsigen Stimmchen konnte.
    Ich ließ dem Datenschutz keine Chance: »Selb, Beamtenheimstättenwerk. Guten Tag, Frau Kollegin. Vor mir liegt die Akte Leonore Salger, und ich stelle fest, daß die Arbeitnehmersparzulage noch immer nicht bei uns eingeht. Ich muß Sie doch sehr bitten, das endlich in Ordnung zu bringen. Mir ist, ehrlich gesagt, nicht verständlich, warum Sie …«
    »Wie ist bitte der Name?« Jetzt war das Stimmchen schrill vor Erregung über meine Anschuldigung.
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