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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug
Autoren: Schlink
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Sessel. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    »Da schau einer an, die Leo. Ein nettes Bild. Und was wollen Sie von ihr? – Klaus, komm mal her.« Er winkte einem stämmigen Kleinen mit roten Haaren, randloser Brille und blitzgescheiten Augen. So stelle ich mir die Intellektuellen unter Irlands Whiskytrinkern vor. Die beiden redeten halblaut miteinander. Unter meinem interessierten Blick verstummten sie. So wandte ich den Kopf ab und spitzte die Ohren. Ich verstand, daß ich nicht der erste war, der im Drugstore nach Leo forschte. Im Februar war schon einmal jemand dagewesen. Auch Klaus fragte: »Was wollen Sie von ihr?«
    Ich erzählte, wie es mir als Onkel im Studentenwohnheim am Klausenpfad ergangen war und daß Andrea mich hierher geschickt hatte. Sie blieben mißtrauisch. Sie hätten Leo seit Januar nicht mehr gesehen – mehr erfuhr ich nicht. Und sie ließen mich nicht aus den Augen, als ich den zweiten Campari trank, zahlte, hinausging und von draußen noch mal durchs Fenster sah.

5
Turbo auf meinem Schoß
    Als nächstes klapperte ich die Krankenhäuser ab. Zwar benachrichtigen sie die Angehörigen von Patienten, die nicht sprechen können. Auch teilen sie der Polizei mit, wenn Patienten zweifelhafter Identität eingeliefert werden. Aber nur ausnahmsweise veranlaßt der Arzt die Benachrichtigung der Angehörigen gegen den Willen des Patienten. Einer, den seine Angehörigen vermissen, kann ein paar Straßen weiter im Krankenhaus liegen. Vielleicht ist ihm egal, daß seine Lieben sich die Augen nach ihm ausweinen. Vielleicht ist’s ihm gerade recht.
    Beides paßte nicht zu dem Eindruck, den ich von Leo bisher gewonnen hatte. Und selbst wenn ihr Verhältnis zu den Eltern zerrütteter war, als ihr Vater mich hatte wissen lassen – warum hätte sie Professor Leider und dem Katastrophenphilosophen den Krankenhausaufenthalt verheimlichen sollen? Aber der Teufel ist ein Eichhörnchen, und so machte ich sie durch, die Heidelberger Universitätskliniken, die Städtischen Krankenanstalten Mannheims, die Kreiskrankenhäuser und die Hospitäler der Kirchen. Hier lief ich keine Gefahr, Leos soziales Umfeld scheu zu machen. Ich mußte nicht in fremde Rollen schlüpfen, sondern konnte Privatdetektiv Selb sein, den der besorgte Vater mit der Suche nach der verlorenen Tochter betraut hat. Ich verließ mich nicht aufs Telephon. Darüber kriegt man zwar ziemlich verläßlich heraus, ob jemand im Krankenhaus liegt. Wenn man aber auch wissen will, ob er in den vergangenen Wochen oder Monaten Patient war, spricht man besser vor. Ich tat es zwei ganze Tage lang. Von Leo keine Spur.
    Dann kam das Wochenende. Der Regen, der den April bislang begleitet hatte, hörte auf, und beim sonntäglichen Spaziergang durch den Luisenpark schien die Sonne. Ich hatte die Tüte mit altem Brot dabei und fütterte die Enten. Ich hatte auch die Süddeutsche Zeitung dabei und wollte mich zum Lesen in einen der bereitstehenden Liegestühle legen. Aber die Aprilsonne wärmte noch nicht richtig. Oder meine Knochen werden nicht mehr so schnell warm wie früher. Ich war froh, als sich zu Hause mein Kater Turbo in meinen Schoß kringelte. Er schnurrte und streckte wohlig die kleinen Tatzen.
    Ich wußte, wo Leo gewohnt, studiert und verkehrt hatte und daß sie jedenfalls in Heidelberg und Umgebung nicht im Krankenhaus lag oder gelegen hatte. Seit Januar war sie verschwunden, im Februar hatte jemand nach ihr geforscht. Im Juli letzten Jahres war sie von der Polizei festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt worden. Der Professor hatte sich positiv über sie geäußert, die Bekannten, an die ich geraten war, nicht negativ. Der Kontakt zu den Eltern war dürftig. Sie rauchte. Ich wußte auch, wo Freunde und Bekannte, Kollegen und Lehrer von Leo zu finden waren. Ich konnte im Dolmetscherinstitut, im Drugstore und in den Geschäften der Nachbarschaft recherchieren. Aber das ging nicht ohne Irritationen des sozialen Umfelds ab. Also mußte ich Salger vor die Wahl stellen, entweder den Auftrag zu beenden oder in Kauf zu nehmen, daß Leo von der Suche erfährt. Das war der zweite Punkt, den ich für Montag vormerkte.
    Der erste hätte schon auf die Traktandenliste der letzten Woche gehört: das Psychiatrische Landeskrankenhaus vor den Toren Heidelbergs. Ich hatte es nicht vergessen. Ich hatte mich davor gedrückt. Eberhard hat anderthalb Jahre in der Anstalt verbracht, ich habe ihn oft besucht, und mich haben die Besuche immer fertiggemacht. Eberhard ist
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