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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug
Autoren: Schlink
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… Sie mogeln erst Ihren Kopf aus der Schlinge und dann den von Frau Salger. Vielleicht hätte sie nicht verurteilt werden können. Aber selbst dann ist sie jetzt, wo sie aus freien Stücken in die Anstalt gekommen ist und auch wieder gehen kann, besser dran, als wenn ein Richter sie eingewiesen hätte, und außerdem ist ihr das Verfahren erspart geblieben. Gratuliere, Herr Selb, und wie fühlen Sie sich dabei? Meinen Sie, für Sie gelten die Regeln nicht, die für die anderen selten? Dann betrügen Sie noch vor allen anderen und schlimmer als alle anderen sich selbst.« Er deutete den Blick seiner Frau als Aufforderung zur Mäßigung. »Nein, Reni, jetzt muß es auch heraus. Da sitzt er, erfolgreicher Betrüger, und erhebt sich über den Betrug der Polizei. Wollen Sie behaupten, daß das Urteil die Falschen erwischt hat, und können Sie leugnen, daß auch Sie und Frau Salger auf die Anklagebank gehört hätten und mindestens Sie auch verurteilt?«
    Was sollte ich sagen? Daß ich der Polizei immerhin geholfen hatte, Lemke und Wendt zu überführen? Daß ich weiß, daß die Regeln, die für alle gelten, auch für mich gelten, und daß ich darum doch meine eigenen Regeln habe? Daß es Regeln und Regeln gibt und Betrug und Betrug? Daß er Polizist ist und ich nicht?
    »Ich erhebe mich nicht über Sie, Herr Nägelsbach. Und ich habe Peschkaleks Material nicht. Es ist verbrannt. Was ich habe, sind die Photos, von denen ich Kopien gezeigt habe.«
    Er nickte und sah lange den Mücken zu, die ums Windlicht tanzten. Dann schenkte er nach. »Giftgas? Ich weiß nicht, ob es in Viernheim Giftgas gibt. Man hat’s mir nicht gesagt und wird’s mir auch nicht sagen. Ich höre, daß sich auf dem Gelände allerhand tut – wenn es Giftgas gibt, dann scheint man sich immerhin darum zu kümmern.«
    Der Wind rauschte in den Blättern. Es wurde kühl. Aus einem Nachbargarten schallten Stimmen und zog der Rauch vom Grill herüber. »Wie wär’s mit einer heißen Gulaschsuppe? Und einer Decke über die Knie?«
    »Vielleicht gehöre ich eigentlich ins Gefängnis. Aber ich bin weiß Gott froh, statt dessen bei Ihnen unterm Birnbaum zu sitzen.«
    »Ganz bleibt Ihnen das Gefängnis nicht erspart. Sie ganz ohne davonkommen zu lassen, konnte mein Mann denn doch nicht hinnehmen. Kommen Sie!«
    Frau Nägelsbach stand auf und führte uns zum Atelier. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, und konnte mir nicht vorstellen, daß mir Schlimmes drohen sollte. Aber auf dem Weg blieben beide stumm, im Atelier war es stockfinster, und mir wurde ein bißchen mulmig. Dann ging zuckend die Neonleuchte über der Arbeitsplatte an.
    Nägelsbach war zur Architektur zurückgekehrt. Auf der Arbeitsplatte stand, aus tausend und abertausend Streichhölzern geklebt, ein Gefängnis aus dem neunzehnten Jahrhundert. Zentralbau und Zellenflügel als Stern mit fünf Zacken, darum herum die Mauer mit Tor und Türmen, feinfädrige Drähte auf dem Mauerkranz und klitzekleine Gitter in den winzigen Zellenfenstern. Nägelsbach bevölkert seine Arbeiten nie mit Figuren. Aber hier hatten er oder seine Frau eine Ausnahme gemacht, eine kleine Gestalt aus festem Papier.
    »Ich?«
    »Ja.«
    Im gestreiften Anzug und mit gestreifter Mütze stand ich einsam im Hof. Ich winkte mir zu.
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