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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug
Autoren: Schlink
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hattest kein Geld.«
    Sie lachte. »Es war lustig, nachts miteinander zu telephonieren, nicht? Manchmal warst du nicht da, aber ich war ja auch nicht da.« Sie lachte noch mal. »Ich hab Helmut gesagt, er soll seinem Freund sagen, er soll dich grüßen, aber ich hab mir schon gedacht, daß er’s nicht macht.«
    Wir aßen zu Mittag. Früher gab es in der ›Waldschenke‹ redliche Hausmannskost. Heute erlaubt der Mikrowellenherd dem schlichtesten Gasthaus, in Minutenschnelle ein schlechtes Bœuf Bourgignon auf den Tisch zu bringen.
    »Wir haben schon besser gegessen.« Sie zwinkerte mir zu. »Weißt du noch das Hotel über dem Murtener See?«
    Ich nickte. »Wir gehen heute abend richtig essen. Was hast du eigentlich vor? Bleibst du in Heidelberg? Studierst du weiter? Besuchst du deine Mutter? Sie wurde sicher benachrichtigt – hast du von ihr gehört?«
    Sie dachte nach. »Ich möchte nachher gerne zum Friseur gehen. Mein Haar ist so strähnig.« Sie nahm eine Locke und zog sie glatt. »Und es stinkt so eklig.« Sie roch daran und rümpfte die Nase. »Hier, riech selbst!«
    Ich saß ihr gegenüber und winkte ab. »Kein Problem, wir fahren zum Friseur.«
    »Nein, du sollst riechen.« Sie stand auf, kam um den Tisch, bückte sich und hielt ihren Kopf vor meinen.
    Ich roch die Sonne in ihrem Haar und einen Hauch Eau de toilette. »Dein Haar stinkt doch nicht, Leo, es riecht …«
    »Wohl stinkt es. Du mußt besser hinriechen.« Sie hielt ihren Kopf noch näher. Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände. Sie gab mir einen kurzen Kuß. »Und jetzt sei ein braver Junge und riech richtig hin.«
    »Gut, Leo, du hast gewonnen, nachher geht’s zum Friseur.«
    Den Berg hinab ging es langsamer als hinauf. Es war drückend heiß geworden. Zugleich war es eigentümlich still; kein Wind, kein Vogel mochte bei der Hitze zwitschern, weder Autos noch Wanderer waren unterwegs, und der Dunst, der über der Rheinebene lag, dämpfte die Geräusche, die sonst von der Stadt hinaufdringen. Unsere Tritte waren laut, schwer und beschwerlich. Ich hatte Scheu zu reden.
    Unvermittelt und unbefangen begann Leo, mir vom Dolmetschen zu erzählen. Obwohl mit dem Studium noch nicht fertig, half sie seit Jahren bei Partnerschaftstreffen kleiner deutscher, französischer und englischer Gemeinden aus. Sie erzählte von Bürgermeistern, Pfarrern, Vereinsvorsitzenden und anderen Honoratioren, vom Leben in den Vereinen und in den Familien, bei denen sie während der Partnerschaftstreffen untergebracht gewesen war. Sie spielte mir den englisch schwäbelnden Pfarrer von Korntal und den Apotheker von Mirande vor, der in der Kriegsgefangenschaft auf einem Bauernhof in Sachsen Deutsch gelernt hatte. Ich mußte lachen, daß ich Seitenstechen bekam.
    »Das klingt schön, nicht? Aber hast du dir mal überlegt, was Dolmetschen wirklich bedeutet?« Sie sah mich verzweifelt an. »Dolm – da steckt der Dolmen drin, der Stein und auch der Dolch, und metschen – das klingt nach matschen und nach metzeln. Das ist es, was ich gelernt habe und kann: mit dem Dolch umgehen.«
    »Quatsch, Leo. Ich weiß nicht, woher das Wort Dolmetscher kommt, aber daher bestimmt nicht. Wenn es einen so düsteren Hintergrund hätte – warum sollte man es dann für das harmlose Übersetzen des gesprochenen Worts nehmen?«
    »Du hältst Übersetzen für harmlos?«
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
    Leo, die ihre Sachen auf dem Tisch im Gefängnis ordnet, die über sich wie über eine Fremde spricht, die mir ihr Haar unter die Nase hält, die wirres Zeug übers Dolmetschen redet – was sollte ich davon halten? Aber Leo wartete nicht auf meine Antwort, sondern redete weiter. Als wir wieder beim Auto waren, hatte sie mir nicht nur eine Theorie des Übersetzens vorgetragen, die ich nicht verstand. Auf meine Frage hin, ob die Theorie von Professor Leider stamme, hatte sie mich auch mit dessen Stärken, Schwächen und Gewohnheiten, Frau, Sekretärin und Mitarbeitern vertraut gemacht.
    »Hast du einen bestimmten Friseur im Auge?«
    »Such einen für mich aus, Gerd.«
    Ich bin mit dem Haarschneider in der Schwetzinger Straße, zu dem ich gehe, seit ich in Mannheim lebe, immer zufrieden gewesen. Er ist mit mir alt und ein bißchen zittrig geworden. Die paar Haare, die ich habe, machen ihm keine Probleme. Aber für Leo war das nichts. Mir fiel ein, daß ich auf dem Weg zum Herschelbad immer an einem chromblitzenden Coiffeursalon vorbeikomme. Das war’s.
    Der junge Chef begrüßte Leo, als sei sie
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