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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder
Autoren: Paul Grote
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Spätburgunder im Casino nicht bekommen? Der Mann musste Derartiges gewohnt sein, und wenn der Wein schlecht gewesen wäre, hätte er es sicherlich auf einen Meter Entfernung von der Flasche sofort gemerkt   – das zumindest wurde von ihm behauptet.
    Für Henry war es überraschend, in dieser großen Gruppe von Kollegen außer Mendoza kein einziges bekanntes Gesicht zu finden. Doch, da war der kantige Kopf mit grimmigem Gesicht auf dem massigen Körper, und der gehörte zuAguirre, dem Zorn Gottes, wie Henry Jacobo Arienzo, den spanischen Önologen, nannte. So grimmig, wie er aussah, war er auch, aber er war ehrlich. Außer ihm gab es sicher noch weitere Spanier, mit Sicherheit sympathischere Typen als den Widerling Mendoza, der sich großspurig »Publizist« nannte. Henry hatte bei seinen Besuchen spanischer Weingüter mehr mit Winzern, Kellermeistern und Weinbauern zu tun und nicht wie hier mit Vertriebsleitern und Geschäftsführern, mit Marketingdirektoren und Weinberatern. Von denen bekam man sowieso meistens ähnliche Vorträge zu hören.
    Ja, da war noch Antonia Vanzetti, sie stieg vor ihm angeregt plaudernd inmitten eines Trupps bestens gelaunter Italiener die Treppe hinab. Zwei ihrer Begleiter meinte er gestern bereits im Gartenrestaurant des »Il Calice« gesehen zu haben, die Valianos, ein Winzerehepaar aus Süditalien. Leider sprach er zu schlecht Italienisch, um sich ihnen anzuschließen.
    Henrys Französisch hingegen reichte, um mit dem Herrn, der neben ihm auf der Brücke über die Oos stehen geblieben war, über den Concours Mondial de Bruxelles zu plaudern, an dem Pierre Faudot teilgenommen hatte, wie Henry dem Namensschild entnahm, das an dessen Hals baumelte. Brügge, Belgien, Weinkontrolleur, Jurygruppe neun. Also gehörte auch er nicht zu Henrys Team der Gruppe dreizehn. Monsieur Faudot war genauso gespannt wie er, wie er durchblicken ließ, mit wem er die nächsten Tage zusammensitzen würde, und betrachtete das spärlich fließende Rinnsal.
    »Wenn einer da ertrinken will, muss er schon volltrunken sein und mit dem Gesicht nach unten liegen«, meinte der Belgier.
    Diese Art von Humor konnte Henry teilen, und er stimmte in das Lachen ein, fragte sich allerdings, wer darin ertrinken solle, als Koch alle Nachzügler mit ausgebreiteten Armen vor sich her zum Hotel trieb.
    Beinahe als Letzter betrat Henry die Lobby und spürte sofort, dass sich etwas verändert hatte. Die Stimmung hatte sich gewandelt. Die Leichtigkeit und Fröhlichkeit des Neubeginns waren verflogen. In der Lobby herrschte eine gespannte Stille, die Menschen an der Rezeption flüsterten. Sie sahen nicht wie Hotelgäste aus. Ein besonders großer Mann fiel ihm auf, und niemand trug das Namensschild mit dem Zeichen der BBWC.   War eine neue Reisegruppe eingetroffen? Ohne Gepäck? Reisende benahmen sich anders, waren aufgeregter, ausgelassen. Niemand füllte ein Formular aus. Der Ernst und die Haltung des Personals verunsicherten Henry, da war nicht ein Lächeln im Gesicht, nicht einmal das auf der Hotelfachschule eingeübte.
    Irritiert folgte Henry dem belgischen Kollegen hinauf in den Verkostungssaal und ließ seinen Blick über die weiß gedeckten Tische streifen, wo sie die nächsten vier Tage zubringen würden. Hier war die Stimmung gänzlich anders.
    An seinem Tisch, dem mit der Nummer dreizehn, waren bis auf seinen alle Stühle besetzt, und erst jetzt wurde er wirklich gewahr, welche Zahl man ihm verpasst hatte. Ihn an die Dreizehn zu setzen konnte nur Kochs Werk gewesen sein. Die Dreizehn ist keine gute Zahl, sagte er sich und sah die schwarze Katze vor sich, die in jener Nacht in Laguardia die Straße vor ihm überquert hatte, bevor der Önologe Jaime Toledo ermordet worden war. Nein, das hat damit nichts zu tun, sagte er sich, schüttelte im Geiste die Erinnerung ab und ging auf fünf neugierige Gesichter zu, von denen bis auf eines alle lächelten, als er die Hand auf die Lehne des freien Stuhls legte. Die Dreizehn bezieht sich nicht auf mich, sagte sich Henry, hier ist keiner böse   – doch, einer schaut hinterhältig.
    Statt sich zu setzen, trat Henry zu der farblosen, ungeschminkten Dame mit dem Fransenschnitt und dem grauen Kleid, das zu den grauen Augen passte, und gab ihr die Hand. Er kannte sie   – vom Foto her. Das Eleganteste an ihrwar die echte Perlenkette. Isabella hatte eine von ihrer Mutter geerbt und ihm gezeigt, woran man die Echtheit erkannte.
    Isabella   – Henry durchzuckte der Gedanke an die
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