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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder
Autoren: Paul Grote
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Namensschilder derer, die plaudernd am Fuß der Treppe neben ihm warteten. Die Neugier, zu erfahren, wer zur selben Jurygruppe gehörte, war groß, immerhin würde man vier lange Tage eng beieinander sitzen, Ellenbogen an Ellenbogen, sozusagen auf Tuchfühlung, und würde gemeinsam an die zweihundert Weine probieren. Und jeder hoffte, dass nicht irgendein Großmaul, Besserwisser oder Klugscheißer am Tisch mit seiner Meinung die Stimmung verdarb.
    Weiter vorn in der Schlange standen der Fotograf und seine schöne Frau, die Winzerin Antonia Vanzetti, die sich gerade das Band mit dem Namensschild über den Kopf streifte. Henry sah sie die Arme heben, die Armreifen rutschten auf ihren gebräunten Armen nach unten, und sie drückte ihr volles krauses Haar zusammen, denn das Band hatte sichverheddert. Ihr Mann, Frank Gatow, schaute belustigt zu und grinste, als er Henry erkannte. Der Fotograf gehörte nicht zu den Juroren, aber er wich nicht von der Seite seiner Frau, außer wenn er fotografierte   – heimlich, nur von Henry bemerkt, wie letzte Nacht beim Roulette.
    Kurz bevor Henry an der Reihe war sich einzutragen, bemerkte er in der übernächsten Reihe einen Spanier, der ihm die Laune verderben konnte: Patricio Mendoza, Autor und Publizist. Sie waren mehrmals aneinandergeraten, weniger in Sachen Wein als in Bezug auf Politik. Henry hielt ihn für bösartig, und er war schwarz bis auf die Knochen, seiner Einstellung nach gehörte er entweder dem rechten Movimiento Social Republicano an oder der Falange Auténtica, beides Organisationen der extremen Rechten. Mendoza hatte ihn noch nicht entdeckt oder wollte ihn nicht sehen. Henry musste jede Konfrontation vermeiden. Sollte Mendoza ihm wieder mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Parolen auf den Wecker gehen, würde er ihm zu gern   …
    Marion Dörners Lächeln unterbrach den finsteren Wunsch. Ihr war anscheinend die Aufgabe zuteilgeworden, die Hostessen bei der Ausgabe der Namensschilder zu kontrollieren. Im letzten Monat in Andalusien, wo sie sich kennengelernt hatten, hatte sie mit dem Pagenkopf mehr dem Typ des jungen Mädchens entsprochen. Heute gab ihr das hochgesteckte Haar einen Hauch von Noblesse, was ihr auch gut stand. Der Eindruck wurde von ihrem offiziellen Auftreten im dunkelblauen Kostüm unterstrichen. Hatte sie bisher mit verschränkten Armen zwei Schritte hinter den Tischen gestanden, so griff sie jetzt selbst nach den Schildern, um Henry das seine umzuhängen   – und um ihm möglichst nahe zu kommen? Das wäre ihm nicht recht gewesen und verbot sich hier von selbst. Er nahm das Schild mit der ausgestreckten Hand entgegen, aber um ein Bussi kam er nicht herum. Aus den Augenwinkeln bemerkte Henry, dass es Frank Gatow, der belustigt die Augenbrauen hob, nicht entgangen war.Das hatte er schon gestern in der Spielbank getan, als Marion ständig in seiner Nähe geblieben war.
    »Wir sehen uns beim Mittagessen?!«
    Ob Marion das als Frage oder bestätigend gemeint hatte, war ihrem Tonfall nicht zu entnehmen.
    »Ich werde mich meiner Jurygruppe anpassen müssen, wahrscheinlich machen wir nach dem dritten Flight Pause. Dann hätten wir nur noch einen Flight von zehn oder fünfzehn Flaschen vor uns und können es ruhig angehen. Heute Abend sehen wir uns bestimmt.« Es wäre undiplomatisch, ihr Ansinnen gänzlich auszuschlagen, obwohl Henry sich bedrängt fühlte.
    »Ich hoffe es«, gurrte Marion und zog sich mit einem charmanten Lächeln auf ihre Position zurück, denn Oliver Koch war aufgetaucht, finster wie immer und so wichtig wie am Abend zuvor.
    »Sie haben unseren Gast ziemlich alt aussehen lassen, zu alt!«
    »Das war nicht ich, das war die Roulettekugel«, erwiderte Henry. Bevor Koch auf das andere Thema kommen konnte, wandte er sich der Treppe zu, wo Frank Gatow auf ihn wartete.
    »Du lässt deiner Frau den Vortritt?«, fragte Henry und legte ihm freundschaftlich die Hand auf den Rücken.
    Gatow war der Typ Fotograf, mit dem er als Journalist sich vorstellen konnte, auf eine lange Reportagereise zu gehen. Auf der kollegialen Ebene hatten sie sich sofort verstanden.
    »Man hat mir ausnahmsweise gestattet, als Ehemann einer geladenen Jurorin unentgeltlich an den Events teilzunehmen. Doch seit gestern darf ich nirgends mehr mit der Kamera rein«, antwortete Gatow mit gespieltem Bedauern. »Der da«, er neigte den Kopf in Richtung Koch, »hat es verboten.«
    »Der kann nicht anders, er spielt sich auf, das ist seine Lieblingsbeschäftigung.
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