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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Liv Winterberg
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Saint Mourelles
    S elbst sein Schweigen war schön. Warm und weich erfüllte es sie stets mit der Gewissheit, dass es, sobald das Nötigste gesagt war, keiner Worte mehr bedurfte. Mathis war da, bei ihr, und das war Catheline mehr als genug.
    Zumindest war es so gewesen.
    Damals.
    Nun saß Mathis auf seinem Schemel, zusammengesunken mit rundem Rücken, und nichts ließ darauf schließen, dass er ein Mann von beachtlicher Größe war. Mit argwöhnischem Blick maß er jeden ihrer Handgriffe, und so warm und weich sein Schweigen einst gewesen, so kalt und abweisend war es jetzt.
    Catheline fröstelte und band sich das Leintuch als Schürze über den Rock ihres Kittels. Sie goss das über der Feuerstelle erwärmte Wasser auf die getrockneten Kamillen- und Arnikablüten, die sie in die Holzschale gegeben hatte. Die Blütenköpfe schossen an die Wasseroberfläche, drehten sich im Kreis und begannen ihren Duft zu verbreiten. Dann legte sie in der Feuerstelle ein Scheit nach. Flugs umzüngelten die Flammen das Holz, dessen Knistern die Stille zwischen ihnen noch zu unterstreichen schien. Kurz leuchtete der flackernde Lichtschein die Hütte aus. Die Truhe, der Tisch, die beiden Sitzbänke, die Bettstatt. Scharfe Schatten auf verrußten Holzwänden.
    Der Kräutersud in der Schale schwappte auf und ab, als Catheline sie zu Mathis’ nackten Füßen abstellte. Sie raffte die Schürze und den Rock ihres Kittels und ließ sich auf die Knie nieder. Der Lehmboden war kalt und glatt gestampft, mit der Sorgfalt, die Mathis stets zu eigen war.
    Die dichten Haare auf seinen Beinen kräuselten sich, ein schwarzer Pelz, der sich bis zu den Füßen hinabzog. Doch auch die Haarpracht konnte die tiefrot leuchtende Narbe, die vom linken Knie mehr als zwei Handbreit in Richtung des Knöchels entlanglief, nicht verbergen. Die Wade dieses Beines war schmaler, die Haut des Fußes weiß und durchscheinend geworden.
    Catheline tastete den Fußrücken ab, und der Druck ihrer Finger hinterließ Dellen in der Haut, die nur langsam schwanden. »Kannst du das Bein anheben?«
    Mathis versuchte, das Bein zu strecken, das daraufhin bis zur Hüfte erzitterte. Die Bewegung war so gering, dass Catheline fast wünschte, nicht gefragt zu haben. Doch sie musste wissen, wie weit sein Bein sich erholte, um zu entscheiden, ob sie nochmals Kräuter für die nächste Behandlung holen würde. Er ließ das Bein wieder sinken.
    »Wenn ich es beuge, sieht es nicht besser aus«, sagte Mathis und klang müde dabei.
    »Aber du machst Fortschritte, das Knie ist fast vollständig abgeschwollen. Kannst du die Zehen inzwischen bewegen?«
    Er schüttelte den Kopf und sank noch tiefer in sein abweisendes Schweigen zurück.
    Langsam schob Catheline das bis zum Knie reichende Hosenbein auf seinen Oberschenkel. Mathis zuckte zusammen, doch unbeirrt tauchte sie eine Ecke des Leintuchs ins Wasser. Rieb den warmen Kräutersud über seine Haut und begann, die Wade mit kreisenden Bewegungen zu kneten.
    Sofort drückte er den Rücken durch und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Sie knetete und wusch, schwieg und vergaß die Zeit dabei. Vergaß sein Schweigen und seinen angespannten Körper. Bearbeitete jeden Flecken seines geschundenen Beines, behutsam und sanft, um die Narbe nicht zu reizen. Dann langte sie nach dem rechten Fuß, den er ihr umgehend wieder entzog.
    »Lass das. Dieser Fuß braucht keine Behandlung.«
    Nochmals griff Catheline nach seinem rechten Fuß, bettete ihn auf ihren Schoß und wusch auch ihn. Knüpfte die Schürze ab und wickelte beide Füße in den trockenen Teil des Tuches. Nahm die Beinlinge und gab sie Mathis, damit er sie anlegen konnte. Als sie sich erhob, suchte sie seinen Blick. »Das Bein ist weiterhin schwach, aber die Behandlung wird es kräftigen.«
    »Das ist sinnlos, das weißt du.«
    »Nein, das weiß ich nicht«, sagte sie nur.
    Seit sie seine Hütte verlassen hatten, blieb Mathis ihr stets einen halben Schritt voraus. Er hielt den Kopf gegen den Wind gesenkt, der die Schneeflocken mit einer Kraft vor sich hertrieb, dass sie sich wie Nadelstiche anfühlten, sobald sie die Haut berührten. Sein Atem stieg stoßweise in der Kälte auf, ein jeweils weiß gekräuselter Hauch, der zeigte, wie sehr das Laufen ihn noch immer anstrengte. Der linke Fuß hing schlaff am Bein und zeichnete mit jedem Schritt eine Schleifspur in den Schnee. Mathis hielt den Treibstecken umklammert, um sein Gleichgewicht zu halten. Unvermittelt blieb er stehen, wischte sich
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