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Wo der Pfeffer wächst (Sonderpreis bis zum 31.07.2012) (German Edition)

Wo der Pfeffer wächst (Sonderpreis bis zum 31.07.2012) (German Edition)

Titel: Wo der Pfeffer wächst (Sonderpreis bis zum 31.07.2012) (German Edition)
Autoren: Hannah Moosbach
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    Das Landleben ist zeitlos und romantisch. So ein Schwachsinn!
    Während meine Mutter wieder einmal hinter den Gardinen hockt und ich hilflos mitansehen muss, wie sie an diesem Tag schon zum dritten Mal die Nachbarn ausspioniert, dreht sich mir bei all der Romantik wiederholt der Magen um.
    „Da!“, ruft sie wie ein aufgescheuchtes Huhn. „Horst, komm schnell her! Da ist er wieder, der Karl-August!“
    Horst, der gerade noch damit beschäftigt gewesen war, die Traueranzeigen der regionalen Tageszeitung Hinterwäldler Expressanzeiger zu studieren, schafft es erst beim zweiten Anlauf und mit viel Schwung, sich aus dem Sessel zu lösen. Wie ein dickes Rhinozeros stürzt er zu meiner Mutter ans Fenster. Dass die Bleikristallgläser in der Eiche-Rustikal-Anbauwand bei jedem einzelnen seiner Schritte klimpern und auch die Kristalle des Deckenleuchters unheilvoll erzittern, bekommt außer mir schon lange niemand mehr mit. Es ist gruselig. Dem Hinterwäldler Expressanzeiger habe ich schon oft entnommen, dass Hausbesitzer angesichts der durch Lastkraftwagen ausgelösten Erschütterungen zunehmend um Schäden an ihren Gebäuden bangen. Doch von Horst haben sie noch nie berichtet.
    „Da!“, ruft sie wieder. „Er geht über den Hof in seinen Geräteschuppen. Der wird doch wohl jetzt keinen Rasen mähen wollen!“
    Horst, der sich – galant wie eine in Tüll gewickelte Speckmade – vor die Gardine schiebt und nebenbei seinen Stirnschweiß an den Vorhängen abwischt, gafft empört zu unserem Nachbarn rüber.
    „Spinnst du?“, faucht meine Mutter ihn an. „Die sind ganz frisch gewaschen! Jetzt kann ich die ganze Arbeit noch einmal machen. Was, wenn wir heute Besuch bekommen? Dann ist Nachmittag, und es hängt keine Gardine vor unserem Fenster. Was sollen denn bloß die Leute von uns denken?“
    Angesichts der Tatsache, dass Karl-August die Bespitzelungsaktion gerade mitbekommen hat, frage ich mich, ob ein gardinenloses Fenster zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirklich das größere Problem dieses Haushaltes ist. Abgesehen davon war hier, abzüglich einiger weniger Personen mit netten Broschüren, die dringend über Gott sprechen wollten, schon seit drei Jahren niemand mehr zu Besuch.
    So wie meine Mutter gerade guckt, sind die Gardinen tatsächlich das Wichtigste, womit ich die Angelegenheit als sich mir nicht erschließendes Geheimnis des Hinterwäldler-Hausener-Universums abtue.
    Entnervt schiebt sie ihren übergewichtigen Ehemann zu seinem Sessel zurück, dessen Sitzfläche sich im Laufe der letzten Jahre tadellos an den von ihm hart erarbeiteten Elefantenhintern angepasst hat. Aber wen wundert‘s? Bei so einer gewaltigen Masse an Mensch kommt selbst das stabilste Möbelstück irgendwann nicht mehr dagegen an.
    Meine Mutter ist zwar in all den Jahren nicht müde geworden, zu behaupten, er sei früher mal gertenschlank gewesen, doch irgendwie habe ich da meine Bedenken. Weder gibt es diesbezüglich Zeugenaussagen lebender Personen noch Fotos oder sonstige Beweise, die das untermauern. Die einstige Existenz eines schlanken Horsts ist somit also ebenso wenig erwiesen, wie das Vorhandensein von Mittelerde, Atlantis oder wirklich begabter Teilnehmer bei „Deutschland sucht den Superstar“.
    Eilig holt meine Mutter die Trittleiter und nimmt die Gardine ab. Fluchend geht sie in die Waschküche, stopft die Gardine in die Maschine und stellt sie an. Als sie wiederkommt, schimpft sie noch immer. In der Zwischenzeit scheint ihre Wut jedoch auf mich übergegangen zu sein.
    „Sag mal, musst du dich eigentlich immer so anziehen?“, fährt sie mich aus heiterem Himmel an, während sie Horst eine Schale Kekse serviert.
    Unsicher blicke ich an mir herab. Wieder einmal trage ich meine schwarze Stoffhose und eine gestreifte Bluse, die ich tief im Inneren meines Schrankes wiederentdeckt habe. „Was stimmt denn nicht mit meinen Kleidern?“
    „Ständig kommst du wie Madame Etepetete bei uns an. Was sollen denn die Nachbarn denken? Gundula schämt sich auch schon für dich. Du musst dich mal ein bisschen anpassen. Hier auf dem Dorf läuft niemand so herum, höchstens bei Beerdigungen. Du möchtest doch wohl nicht, dass die Leute jedes Mal denken, dass einer unter die Erde kommt, wenn sie dich hier sehen?“
    Horst nickt zustimmend und bedenkt mich mit einem tadelnden Blick. Für einen Moment hat es sogar den Anschein, als wolle er auch noch seinen Senf dazu geben, doch die stetig anwachsende Masse Keksbrei in seinem Mund macht das
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