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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder
Autoren: Paul Grote
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Mundschenk. Die jungen Leute würden flitzen müssen, denn nach jeder Probe verlangte jeder Juror ein sauberes Glas. Natalie, die junge Frau, die am Tisch dreizehn bediente, hatte es leichter, denn ein Juror fehlte, der Inhaber der Weinwerbeagentur Önostyle aus Wien, der den Vorsitz hätte führen sollen, war nicht erschienen. Das waren etwa zweihundert Gläser weniger für Natalie.
    Der rote Referenzwein war gut, interessant in den Aromen und sauber gemacht, Henry hatte keine Schwierigkeiten, eine entsprechende Punktzahl zu geben. Für ihn war es eine französische Assemblage aus den Rebsorten Mourvedre, Carignan und Syrah, etwa zwei Jahre alt. Aber er hielt sich mit dieser Äußerung zurück.
    Gastgeber Heckler freute sich nach dem gestrigen Fiasko über den gelungenen Auftakt. Sein Kettenhund strich an den Tischen vorbei und schaute, ob auch alles zu seiner Zufriedenheit ausgeführt wurde, dann bat er laut um die ersten Resultate. Die Punktzahl bewegte sich in der oberenHälfte der achtziger, also wäre es eine Goldmedaille geworden, nur ein Tisch machte wegen der extrem niedrigen Punktzahl von sich reden.
    Ein unwilliges Gemurmel erhob sich, da stürzte ein grauhaariger, elegant gekleideter Herr mit lachsfarbener Krawatte in den Saal, dem ansonsten sicher eine vornehmere Gangart zu eigen war. Hektisch sah er sich um, seine Augen flo gen über die Tische, er entdeckte Heckler, hob den Arm und drängte rücksichtslos durch die Tischreihen, sodass der Unmut jetzt ihm galt statt dem Urteil. Es war ihm gleichgültig. Atemlos beugte er sich zu Heckler, packte ihn bei den Schultern und raunte ihm etwas zu.
    Heckler hatte mit offenem Mund zu ihm aufgeschaut, er wirkte entsetzt, seine angewinkelten Arme fielen herunter wie die eines vom Zug der Strippe erlösten Hampelmannes. Er schüttelte den Kopf und hob beide Hände, flehend oder um etwas Unangenehmes fernzuhalten. Dann strich sein entsetzter Blick über die Köpfe der Juroren, von denen einer nach dem anderen von der Stimmung erfasst wurde. Das Gemurmel erstarb.
    Koch huschte eilig zwischen den Tischen hindurch   – Heckler legte ihm eine Hand auf die Schulter, als müsse er sich festhalten. Jetzt wiederholte der Bote einer anscheinend schrecklichen Nachricht das Gesagte, und Koch schaute nach anfänglicher Verblüffung noch finsterer als in seinen dunkelsten Momenten, wie Henry empfand. Dann verließ das Trio mit fliegenden Jacketts den Saal, aber die Unruhe blieb, wie die Bedrohung, die jeder spürte.
    Fragende Blicke wurden am Tisch ausgetauscht, gepaart mit hilflosem Achselzucken. »Wissen Sie, worum es geht?« »Nein, woher auch?« »Irgendwas muss passiert sein   …« Aber da es keine Antworten gab, erhielten die Hotelfachschüler das Zeichen, mit den Flaschen auszuschwärmen und die Gläser zu füllen, und nur mühsam fanden alle zu einer brüchigen Konzentration zurück.
    Der erste Flight für Tisch dreizehn bestand aus dreizehn jungen trockenen Weißweinen.
    Schon wieder diese Zahl, fluchte Henry im Stillen und ärgerte sich über seine Unfähigkeit, seinen Aberglauben zu überwinden. Mühsam richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Wein. Farbe, Klarheit, Duft und Geschmack standen zur Beurteilung, die Harmonie, das Verhältnis von Süße und Säure. Ihre Einbettung in die gesamte Komposition war ein spezieller Punkt. Henry, der zwischen der Engländerin und dem Italiener saß, merkte, dass der Holländer auf die Bögen seiner Nachbarn schielte und seine Punktzahlen korrigierte, bis er bemerkte, dass Henry ihn beobachtete.
    Sogar beim fünften Wein war kaum jemand richtig bei der Sache. Die Reaktion der Veranstalter war zu heftig gewesen, um vergessen zu werden, und als sie beim siebten Wein angekommen waren   – mit Besprechung dauerte das Verkosten einer Probe zwischen fünf und sieben Minuten   –, betrat Heckler erneut den Saal, ernst und gefasst und in Begleitung des Grauhaarigen und eines elend langen Mannes, den Henry an der Rezeption bereits bemerkt hatte. Sofort wurden alle Gläser abgesetzt.
    Die Lautsprecheranlage knackte, der Grauhaarige mit lachsfarbener Krawatte griff nach dem Mikrofon, das Koch ihm hinhielt.
    »Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte dringend um Ihre Aufmerksamkeit. Mein Name ist Horowitz, ich bin   …«
    … ein Namensvetter des Pianisten Vladimir Horowitz, dachte Henry, auch einer, den deutscher Größenwahn nach dreiunddreißig aus dem Land getrieben hatte.
    »Ist das nicht ein jüdischer Name?«, fragte
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