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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit
Autoren: Karl Schroeder
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an und ab, aber es wurde insgesamt stärker, genau wie das Licht.
    Â»Das wird doch wohl nicht unser geheimnisvoller Wohltäter sein?«, fragte Richard Reiss nervös. Chaison hatte ihnen von der Zerstörung des Gefängnisses erzählt und eine wenn auch ungenaue Beschreibung des Schleppers geliefert, der den Komplex an einer Kette so lange im Kreis herumgeschleudert hatte, bis er auseinanderbrach.
    Â»Was immer es ist, es ist sehr viel größer«, bemerkte der Admiral jetzt überflüssigerweise. Der rote Schein durchflutete allmählich die ganze Wolke; Chaison hielt sich die Hand vor das Gesicht. In dem matten Licht konnte er seine Finger erkennen.
    Jetzt sahen sie zwei große rote Flecken, die im Dunkeln langsam Kreise beschrieben. Sie waren mindestens hundert Meter voneinander entfernt, aber eindeutig Teil eines einzigen Gebildes. Was für ein monströser Körper mochte sich hinter ihnen verbergen?
    Mit einem Mal lachte Richard laut auf. »Ach so«, rief er. »Das ist es nur!«
    Darius sah ihn empört an. »Was? Was ist es nur?«
    Die Eisengießerei entstand aus dem Nebel wie eine Fotografie auf Papier. Zuerst erschienen die Plattformen mit den Arbeitern, die sich wie Schatten vor dem Höllenfeuer abzeichneten. Sie schoben die Meteoritenkohle mit langen Rechen in zwei riesige Hochöfen, die einander mit der Oberseite nach unten gegenüberstanden. Die ganze Anlage rotierte langsam, um die Schwerkraft zu erzeugen, die für den Schmelzvorgang erforderlich war. Als die Plattformen vollends frei lagen, kamen die mehr als sechs Meter breiten Schöpfkellen
an ihrer Unterseite in Sicht. Sie saugten Frischluft an und steuerten somit eine Stimme im unablässigen Basschor der Gießerei bei.
    Chaison schüttelte die geballten Fäuste und zwang seine Muskeln, sich zu entspannen. Es war natürlich kein Ungeheuer, sondern nur eine Industrieanlage; Gießereien und andere Fabriken verbrauchten Unmengen an Sauerstoff, deshalb mussten sie ständig in Bewegung bleiben. Diese Anlage hatte die Form einer riesigen Propellerschaufel – den Antrieb für die Rotation lieferten Düsentriebwerke unter den Schöpfkellen –, die, vorne saubere Luft sammelnd und hinter sich gelben Smog ausstoßend, im Schritttempo durch die Wolken zog.
    Â»Vielleicht kommt uns das gerade recht«, sagte er und wies auf die Baracken und Lagerschuppen, die sich im Mittelbereich der Gießerei drängten. Von dort konnte man an den windschiefen Schornsteinen vorbei über Leitern zu verschiedenen Geschossebenen gelangen. Die Rotation ermöglichte nicht nur, dass die Schöpfkellen dem Feuer Luft zuführten, sie gab der Flamme im Innern auch eine Richtung. Bei Schwerelosigkeit hätte sie sich nur kurz zu einer Kugel aufgebläht, um dann am eigenen Rauch zu ersticken.
    In den Baracken lagerten wahrscheinlich Vorräte und Material – Reserveanzüge, womöglich sogar ein besseres Transportmittel als ihr jämmerlicher kleiner Flieger.
    Â»Ist das wirklich ratsam?« Richard betrachtete skeptisch die kleinen menschlichen Silhouetten, die langsam an ihnen vorbeizogen. »Was ist, wenn man uns bemerkt? – Oder gar auf frischer Tat ertappt?«

    Chaison sah ihn ruhig an. »Und wenn nicht? Außerdem, Botschafter, können die Männer an diesen Hochöfen außer ihren eigenen Händen nichts sehen. Sie stehen mitten im Feuerschein.«
    Â»Hm. Das ist ein Argument. Aber wenn nun …« Er vollendete den Satz nicht, denn Darius trat bereits wie wild in die Pedale. Der kleine Propeller unter seinen Füßen trug sie mit eifrigem Schwirren und Rülpsen langsam auf den Flammen speienden Koloss zu.
    Nicht der dramatischste Sturm, den ich jemals angeführt habe, dachte Chaison wehmütig.
    Am Rand seines Blickfelds bewegte sich etwas. Er fuhr herum und sah gerade noch eine schlanke, graue Gestalt hinter sich im Dunkeln verschwinden.
    Â»Haie!« Zumindest ein Hai. Wenn die Bestie sie gewittert hatte, war sie jetzt sicher schon auf dem Rückweg zu ihrem Becken in irgendeinem Polizeikutter. Selbst mit richtigen Fußflossen oder Flügeln wäre sie nicht mehr einzuholen. Die Biester waren teuflisch schnell. Im Verlauf der nahezu mythischen Erschaffung dieser Welt hatte man ihrer DNA Bienen-Gene zugesetzt; der kleine Dreckskerl könnte bereits in diesem Moment vor einem Polizeiinspektor seinen Schwänzeltanz aufführen und
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