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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit
Autoren: Karl Schroeder
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ihm durch Bewegungen mitteilen, wie viele Personen er in welcher Richtung, welcher Entfernung und bei welcher Geschwindigkeit gesehen hatte.
    Der Junge trat noch schneller in die Pedale. Chaison fürchtete schon, die fragile Konstruktion könnte unter der Belastung brechen, doch wenig später hatten sie das Gewirr aus Seilen und Balken im schwerelosen Zentrum der Gießerei erreicht. Chaison streckte die Hand nach einem Seil aus – sie brauchten es nicht, von
hier aus kämen sie auf jeden Fall an ihr Ziel –, aber er hatte das dringende Bedürfnis nach einem festen Halt. Er bekam das Seil zu fassen und zog sich auf das sechseckige Bretterpodium vor den Baracken. Dann riss er seinen Ärmel von Richards Ärmel los und zückte sein Schwert.
    Die Gießerei war im Grunde nur eine Trägerachse von vierhundert Metern Länge, die um sich selbst rotierte. Die Schlote auf den Hochöfen waren nach hinten gerichtet und entließen die Abgase in den Flugwind; dadurch halfen sie auch mit, die ganze Anlage vorwärts zu bewegen. Genau in der Achsenmitte befand sich zwischen den Baracken ein Steuerhaus. Chaison riss die Tür auf und trat, das Schwert vor sich ausstreckend, ein. Der Raum war leer.
    Das Steuerhaus war ein einfacher, etwa acht Quadratmeter großer Holzkasten, in dem es nach Rauch und Eisen stank. An der Vorderseite unter dem offenen Fenster befand sich eine Reihe von Hebeln, mit denen die Geschwindigkeit der Fabrik reguliert und ihre Richtung verändert werden konnte. Chaison kam eine verrückte Idee. Vielleicht sollten sie die ganze Gießerei als Fluchtfahrzeug benützen? So schnell wie der Pedalflieger wäre sie allemal.
    Bedenklich fand er allerdings, dass das Haus nicht besetzt war. »Selbst wenn es in der Nähe keine Habitate gibt, müsste man doch nach Seen oder Felsbrocken Ausschau halten«, rief er über das ewige Donnergrollen hinweg. »Ich hätte angenommen, dass hier ständig ein Mann auf Posten wäre.«
    Â»Und Sie hätten Recht gehabt«, antwortete eine raue Stimme. »… Vorsicht«, fuhr sie warnend fort, als Chaison
sich umwenden wollte. »Ich habe Ihren Kopf im Visier. «
    Chaison setzte die Drehung langsam fort, bis er nach hinten schauen konnte. In einer dunklen Ecke unterschied er einen halben Mann; er hatte keine Beine, sein Unterleib steckte in einem Gurtnetz. Aber das war angesichts der großkalibrigen Schrotflinte, die er in den Händen hielt, ohne Belang. Deren Lauf war jetzt genau auf Chaisons Brust gerichtet.
    Â»Rufen Sie Ihre beiden Begleiter herein«, befahl der Invalide. Im schwachen Licht sah Chaison Darius’ Gesicht in der Tür. Er lächelte matt.
    Â»Sie sind nicht meine Untergebenen«, antwortete er achselzuckend. »Wenn sie beschließen, mich in Ihrer Gewalt zu lassen, kann ich nichts daran ändern.«
    Â»Die Versuchung ist groß, Sir, aber ich zumindest bin ein Ehrenmann«, erklärte Richard Reiss und schwebte so würdevoll, wie sein abgerissenes Aussehen es zuließ, in das Steuerhaus. Darius folgte ihm.
    Â»Ha!« Der Mann mit der Flinte kam ein wenig näher. Im rötlichen Schein der beiden Höllenfeuer sah Chaison, dass anstelle der fehlenden Unterschenkel je ein Metalldorn von einem Meter Länge an die beiden Oberschenkel geschnallt war. Da er im freien Fall ohnehin keine Beine brauchte, beging Chaison nicht den Fehler, ihn für weniger stark oder wendig zu halten als sich selbst und seine zwei Gefährten. Der Fremde hatte ein wettergegerbtes Gesicht, und als er nun grinste, wurden zahlreiche Zahnlücken sichtbar.
    Â»Die Geheimpolizei fahndet nach euch dreien«, stellte er voller Genugtuung fest. »Sie suchen auch nach anderen Flüchtlingen, aber insbesondere nach drei Slipstreamern.
Und wenn ihr glaubt, ihr könntet mich überwältigen, dann solltet ihr wissen, dass ich Alarm gegeben habe, bevor ich mich dort in der Ecke verschanzt habe. Die Jungs werden jede Sekunde hier sein, um nachzusehen, was eigentlich los ist.«
    Es hätte ein Bluff sein können. Aber es war keiner. Wenige Minuten später wurden Chaison und seine Begleiter von vier verschwitzten Muskelmännern in eine fensterlose Kammer geschoben. Die Gießereiarbeiter klopften dem Steuermann lachend auf die Schultern und spuckten ihre neuen Gefangenen der Vollständigkeit halber an, bevor sie die Tür zuknallten.
    Richard sah Chaison wütend an. »War
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