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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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»Oh dear, how marvellous, just like in Disneyland!«
    Kluftingers Englisch war nicht besonders gut, aber den von der kamerabehängten älteren Frau mit Baseballkappe und riesiger Sonnenbrille ausgerufenen Satz hatte er verstanden. »Hast du das gehört? Wie in Disneyland. Priml! Erst Busladungen voller grinsender und knipsender Japaner und jetzt das. Komm, Erika, wir gehen!«
    Es war elf Uhr dreißig. Kluftinger stand mit seiner Frau am Ticketcenter der Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein bei Füssen und war alles andere als gut gelaunt. Nicht nur, weil er fürs bayerische Zuckerbäckerschloss nicht viel übrig hatte. Auch seine Sympathie für die Besucherhorden aus aller Welt, die sich als nicht enden wollender, wuselnder, schnatternder Strom über das Allgäu ergossen, hielt sich in Grenzen. Aber schließlich hatte er doch eingewilligt, ihren Sohn Markus und dessen neue Freundin hier in Füssen abzuholen. Die beiden hatten auf ihrem Weg in die Weihnachtsferien bei Freunden Station gemacht und angekündigt, Heiligabend mit Kluftingers verbringen zu wollen, was Erika in helle Aufregung versetzt hatte. Anscheinend war es Markus ernst mit seiner neuen Liebe, sonst hätte er sie seinen Eltern niemals bereits nach drei Monaten vorgestellt. Die meisten der zahlreichen Vorgängerinnen hatten sie gar nicht erst kennen gelernt.
    »Jetzt mecker halt nicht dauernd rum! Heut ist so ein strahlender Wintertag. Wo doch dein Sohn endlich mal wieder heimkommt. Und auf die Miki bin ich schon so gespannt …«
    »Auf wen?«
    »Auf die Miki, die neue Freundin vom Markus!«
    »Wie heißt die? Micky? Micky Maus? Passt ja wunderbar nach Disneyland! Und wie heißt sie richtig?«
    »Der Markus erzählt immer nur von der Miki. Vielleicht Michaela … Alles, was ich weiß, ist, dass sie auch in Erlangen studiert und zweiundzwanzig Jahre alt ist. Und eine Überraschung gibt es noch, die er mir am Telefon nicht verraten wollte.«
    »Ach so? Bringt sie ihren Hund Pluto mit, oder was?«
    »Jetzt hör bloß auf! Sonst fährt sie gleich mit dem nächsten Zug zurück.«
    »Wieso? Gibt’s denn einen Direktzug Füssen – Entenhausen?«
    Erika ignorierte die weiteren Sticheleien ihres Mannes. Sie wusste, dass dies das beste Rezept war, um zu verhindern, dass er einen einmal für gut befundenen Witz den ganzen Tag über in Varianten wiederholte. Da seine Spitzen nun ungehört verhallten, beschloss er, still vor sich hin zu schmollen.
    »So, hammer’s dann?« Kluftinger drehte sich um. Ein Mann schaute missmutig von einem Kutschbock auf ihn herab und gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er ihm und seiner von zwei glockenbehängten Ponys gezogenen Kutsche im Weg stand. Kluftinger trat einen Schritt zur Seite und winkte die Kutsche mit einer übertrieben freundlichen Geste vorbei. Dieses spöttische Winken hielt die japanische Reisegruppe auf den Sitzen offenbar für einen Ausdruck Allgäuer Gastfreundschaft und winkte ekstatisch zurück.
    Kluftinger fragte sich, wie viel eine solche Fahrt wohl kostete. Zehn oder gar zwanzig Euro? Der Kommissar der Kemptener Kriminalpolizei überlegte, ob dies schon den Tatbestand des Wuchers erfüllte, wurde aber vom Anblick eines Pferdes abgelenkt, das seine Äpfel genau vor einem Souvenirladen fallen ließ. Auch wenn er sonst nichts mit Pferden anfangen konnte, fühlte er sich dem Vierbeiner in diesem Moment eigentümlich seelenverwandt.
    Fassungslos wurde er schließlich Zeuge, wie sich Dutzende Japaner gegenseitig vor einem ordinären Schild fotografierten, auf dem lediglich ein Symbol für Neuschwanstein und ein Hinweis auf den halbstündigen Fußmarsch zum Schloss zu sehen waren. Ihm würde dieses Volk ein ewiges Rätsel bleiben.
    Ein paar Meter neben dem Schild nahm Kluftinger eine junge Japanerin wahr, die keinen Fotoapparat in der Hand hatte und auch keiner Gruppe anzugehören schien. Die Frau teilte den um sie herumfließenden Touristenstrom wie ein Stein das Wasser eines Baches. Sie ließ sich mit geschlossenen Augen von der Vormittagssonne bescheinen und wirkte auf den Kommissar recht attraktiv – für eine Asiatin jedenfalls. Als sie anfing, in ihrem kleinen Lederrucksack zu kramen, fiel ihr die Sonnenbrille aus dem pechschwarzen Haar. Sie schien den Verlust nicht bemerkt zu haben. Er zögerte. Was ging es ihn an? Andererseits: Dafür, dass die junge Frau sich so touristenuntypisch verhielt, konnte man schon einmal Kavalier spielen. Er gab sich also einen Ruck und ging auf sie zu,
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