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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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und Jacketts ausbeulte. Zweitens hielt der Akku nie lange durch und es wäre laut Erika gar nicht auszudenken, wenn er einmal in eine gefährliche Situation kommen würde und nicht telefonieren könnte. So hatte er sich schweren Herzens von seinem alten trennen müssen, um nun auf dieses winzige Klapphandy umzusteigen, dessen Tasten für seine Finger so geeignet waren wie seine Großtrommel für ein Streichquartett.
    Nun schien sich der Eigensinn seiner Frau geradezu als Glücksfall zu erweisen, denn in das Telefon war – so hatte er damals auf der Packung gelesen – auch eine Kamera integriert. Zwar hatte er sich bisher noch nicht mit der über hundert Seiten starken Gebrauchsanweisung befasst, was unter anderem auch daran lag, dass – es handelte sich um ein japanisches Produkt – diese mit den Worten »Erse Stellung ›ON‹, gelange in die bereite Sperechenmussel« begann. Doch so schwer konnte das nicht sein, immerhin beherrschten ja schon Schulkinder die Bedienung dieser Dinger.
    Er klappte es auf und schaute sich die Tastatur genau an. Neben Zahlen und Buchstaben waren darauf auch jede Menge klitzekleiner Symbole angebracht. Er drückte auf eines, das in seinen Augen wie ein kleiner Fotoapparat aussah. Das Handy piepste zwei Mal, Kluftinger hielt es sich ans Ohr, dann sagte eine Stimme: »You have fortyseven new messages. Please check your mailbox.«
    Kluftinger fluchte, denn er verstand nicht, warum ein japanisches Handy im Allgäu mit ihm englisch reden musste. Aber immerhin hatte er so mitbekommen, dass er eine Mailbox hatte und diese von Anrufern in den letzten drei Monaten bereits rege angenommen worden war. Egal. Die Nachrichten waren jetzt nicht wichtig. Er versuchte einen anderen Knopf und tatsächlich leuchteten auf dem kleinen Bildschirm nun die Worte »Take a photo« auf, was selbst für ihn nicht schwer zu übersetzen war.
    »Na also, geht doch«, brummte er, beugte sich vor, hielt das Gerät mit ausgestrecktem Arm über die linke Hand des Toten, neben der sich das Zeichen befand, und drückte auf den Auslöser. Es folgte ein Geräusch, das wie das Klicken eines Verschlussvorhangs klang, dann erschien eine kleine Sanduhr und schließlich das Bild. Zunächst erkannte er nichts, da die Sonne blendete. Erst als er die Hand schützend vor das Gerät hielt, sah er das Foto. Es zeigte einen Mann mit hochrotem Kopf, der in einer wilden Verrenkung seine Hand weit vom Körper wegstreckte. Er unterdrückte einen Fluch, bekämpfte erfolgreich seinen Drang, das Handy sofort im See zu versenken, und versuchte es erneut. Diesmal stimmte zwar die Richtung, er erkannte auf dem Bildschirm aber nur eine weiße Fläche und einen völlig unscharfen, schwachen, rötlichen Schatten. Er gab auf, steckte das Handy weg und dachte kurz nach. Dann kramte er in seinen Taschen und fand einen der Bedienungsblöcke, die ihm Markus nach einem Ferienjob in einer Brauerei einmal kistenweise mitgebracht hatte und die er seither immer als Schmierzettel bei sich hatte. Er würde das Zeichen eben einfach abmalen, das würde sicher reichen.
    Er hockte sich so nah an den Kreis aus Blut, wie es möglich war, ohne ihn zu berühren. Dann senkte er seinen Kopf, bis er fast den Schnee berührte, um unter die bläulich verfärbte Hand des Mannes sehen zu können, die einen Teil des Zeichens verdeckte. In dieser Haltung, mehr liegend als stehend, begann er mit pfeifendem Atem das Zeichen auf seinen Block zu übertragen. Es dauerte nicht einmal eine Minute, dann hatte er eine passable Kopie erstellt. Nur eine Ecke fehlte noch, doch dazu musste er seine Lage ein wenig verändern und seinen Kopf noch näher an die Hand bringen. Ihm war klar, dass ihm diese Situation noch einige Albträume bescheren würde, denn so nahe war er noch keiner Leiche gekommen. Doch im Moment verdrängte er diesen Gedanken einfach und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
    Gerade, als er den Stift erneut ansetzte, um das letzte Stück fertig zu zeichnen, geschah etwas, was sein Herz einen Schlag aussetzen ließ: Die Hand bewegte sich!
    Zuckend fuhr sie nach oben und wischte über das Gesicht des Kommissars. Der schrie auf, stieß sich reflexartig nach hinten ab, landete unsanft auf dem Rücken und krabbelte mit hektischen Bewegungen noch ein paar Meter weiter weg. Das Blut rauschte in seinen Ohren, als er keuchend dalag und entsetzt auf den Toten vor sich starrte. Sein Gehirn versuchte zu verstehen, was gerade geschehen war: Der Körper vor ihm hatte gezuckt. Der
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