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Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

Titel: Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Vergiftete Hochzeit
    9. Mai 1932
    Mit erfrischender Kühle und wunderbarer Gleichmäßigkeit strömte der Passatwind in die Matupi Bay hinein, und Elsa hielt ihm das Gesicht wie einem Liebhaber entgegen. Einen Gin Pahit in Händen, blickte sie von der Hotelterrasse auf Port Rabaul, das einst deutsche Kolonie gewesen und nach dem Ersten Weltkrieg an Australien gegangen war. Papua-Neuguinea war ein ihr unbekanntes und doch vertrautes Land. Die Bucht war anders als alle Buchten, die Elsa von ihrer Heimat Samoa kannte, was an den gewaltigen Höhen lag, die Port Rabaul flankierten. Ein Gebirge von gutmütigen Wolken ragte über dem Gebirge von schwarzen, unberechenbaren Vulkanen auf, vier, fünf, sechs oder mehr an der Zahl, böse alte Männer, der Tavurvur, der Sulphur, der Matupit, Gesandte des Feuergottes.
    Trotzdem fühlte Elsa sich irgendwie zu Hause, war ihr vieles vertraut, etwa die auf den Riffen hockenden Kinder mit ihren Angelschnüren, die in der Mitte der Bay sacht schwankenden Boote, die Gesänge am Strand, die Schreie der Tiere aus dem nahen Wald, das geisterhafte Leuchten kurz vor Sonnenuntergang … Der Sand färbte sich orange, ebenso wie die Stämme der Kokospalmen und die Häuser der Weißen, Elsas Hochzeitskleid und die schneeweißen Uniformen der polynesischen Hotelkellner drinnen im Festsaal. Das Licht umschloss die ganze Welt, als wolle es sagen: Ihr da unten gehört alle zusammen.
    Die da unten sahen das jedoch anders. Es gab eine Welt der Weißen und eine Welt der Einheimischen, die beide das Kunststück zuwege brachten, am selben Ort zu existieren, ohne sich zu berühren. Auf der Straße ging man grußlos aneinander vorüber, am Strand fischten und wuschen die einen, während die anderen Federball spielten, in den mit Palmstroh gedeckten Hütten am Stadtrand wurde allabendlich gesungen, in den steinernen Häusern auf den Hügeln stellte man die Grammophone an. Eine jahrtausendealte Musik traf auf Verdi und Wagner, gelegentlich auch auf Swing, sie kollidierten unter den Laternen, lösten sich wieder voneinander und entschwebten ihrer Wege. Als seit früher Kindheit verwaiste Tochter des deutschen Handelskapitäns Uwe Jensen und der samoanischen Prinzessin Letii verstand Elsa diese Trennung besser als jeder andere. Bereits in ihrem Taufnamen spiegelte sich der Konflikt oder, freundlicher ausgedrückt, der Kontrast der Kulturen, der sich durch alle Bereiche ihres jungen Lebens zog. Vermutlich war sie die einzige Person auf der Welt, die mit Vornamen Elsa Fa’alua hieß.
    Der Name war nur das deutlichste Anzeichen dafür, dass sie eine ungewöhnliche und einsame Kindheit gehabt hatte. Zwar war die königliche Residenz ihr Zuhause gewesen, allerdings hatte sie dort gelebt wie Aschenputtel, eine lästige familiäre Verpflichtung, hervorgegangen aus einer Mischehe. Niemandem hatte sie es recht machen können, so sehr sie sich auch anstrengte. Alle hatten wegen der kleinsten Kleinigkeiten an ihr herumgenörgelt. Sie kam sich vor wie eine Vertriebene im eigenen Land. Die anderen Kinder, sowohl die der Weißen als auch die der weitläufigen Königsfamilie, mieden sie auf Weisung ihrer Eltern, weil sie von einem Angehörigen der ehemaligen Kolonialmacht abstammte. Die Betonung lag auf ehemalig. Die Machtverhältnisse hatten sich geändert, und einen Deutschen zum Vater zu haben galt als peinlich. Elsa – ihr Name war zu einem Schimpfwort geworden, so als hieße sie » Stinker « , und auch später, als Erwachsene, hatte man ihr keine Zuneigung entgegengebracht. Der Plan der Familie war gewesen, sie mit irgendeinem anderen Mischling aus Samoa zu verheiraten oder mit jemandem, der in dem Bund mit ihr mehr Vorteile als Nachteile sah, einem kleinen Beamten vielleicht, dessen Karriere eine Ehefrau mit königlichem Blut förderlich sein konnte.
    Elsas Plan war jedoch ein ganz anderer. Schon mit elf Jahren hatte sie erkannt, dass Samoa nicht ihre Heimat bleiben konnte. Während die anderen Kinder miteinander spielten, war sie zu einer kleinen, einsamen Bucht gegangen, wo Hunderte blauer Schmetterlinge flatterten, und hatte Bücher gelesen – europäische Bücher, Biografien wie die über Rembrandt, Mozart und den Sonnenkönig, die Stücke von Shakespeare, Schiller und Molière, Werke von Tolstoi, Stoker, den Brontë-Schwestern, Stefan Zweig … Sie verschlang alles, von
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