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Seegrund

Seegrund

Titel: Seegrund
Autoren: Kobr Michael Kluepfel Volker
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Mann lebte! Aber das war unmöglich. Kein Mensch konnte einen derartigen Blutverlust überstehen. Und doch hatte er sich gerade bewegt. Sollte er gerade erst gestorben sein und noch Muskelzuckungen haben? Kluftinger hatte davon gehört, dass es so etwas gab. Er erinnerte sich auch an die Zeiten, als er mit seinem Vater manchmal zum Angeln gegangen war. Wenn sie dann Aale mit nach Hause gebracht hatten, bot sich ihnen ein besonderes Schauspiel: Die Tiere zuckten noch, als sie gehäutet, ausgenommen und gewaschen waren. Ob es so etwas bei Menschen auch gab?
    Oder sollte er es sich nur eingebildet haben? Die Hand zuckte ein zweites Mal. Wesentlich schwächer als vorher, aber doch sichtbar. Nein, jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Die Leiche war gar keine Leiche!
    Fieberhaft überlegte der Kommissar, was er nun tun sollte. Er musste helfen, denn auch wenn der Mann noch am Leben war, war er zumindest sehr, sehr schwer verletzt. Er wusste nicht, wie lange er hier schon in der Kälte gelegen hatte. Kälte! Natürlich, er musste ihn vor der Kälte schützen. Sofort zog sich Kluftinger mit zitternden Fingern seinen Lodenmantel aus, drehte den Mann um und wunderte sich, dass das Bild, das er sah, nicht annähernd so grauenvoll war, wie er es sich vorgestellt hatte: Der Neoprenanzug schien unversehrt, kein Schnitt oder Riss, aus dem Blut sickerte. Der Kommissar breitete den Mantel über ihm aus. Dann warf er zum ersten Mal einen Blick in das Gesicht. Es war das Gesicht eines jungen Mannes, höchstens dreißig, schätzte er: Er war leichenblass, die Lippen blau angelaufen, die Haare klebten an seinem kantigen Schädel. Kluftinger dachte nach. Sollte er hier warten oder seinem Sohn und den beiden Frauen hinterherlaufen, um im Gasthaus einen Krankenwagen zu alarmieren?
    »Mein Gott Vatter, was ist denn hier los?« Markus war plötzlich in der Biegung des Weges aufgetaucht. Er klang schockiert, was Kluftinger nicht wunderte. Er musste ihn für verrückt halten, schließlich ging er noch davon aus, dass es sich bei dem Mann am Ufer um einen Toten handelte.
    »Er lebt!«, rief Kluftinger ihm zu.
    »Was?«
    »Er lebt. Der Mann ist nicht tot, er lebt noch.«
    Markus sah seinen Vater prüfend an.
    »Nein, ich spinn nicht. Er lebt.«
    »Aber wie … ich meine, das Blut …«
    »Ich hab keine Ahnung. Lauf so schnell du kannst zurück und hol den Notarzt. Am besten per Hubschrauber. Lange hält der bestimmt nicht mehr durch.«
    Markus machte auf dem Absatz kehrt und rannte zurück.
    Zum zweiten Mal wurde Kluftinger am Ufer zurückgelassen, doch diesmal war es anders. Der Mann lebte, und Kluftinger hatte dafür zu sorgen, dass es auch so blieb. Aber es war schon lange her, dass er einen Erste-Hilfe-Kurs besucht hatte. Zwar war es eigentlich Pflicht, in regelmäßigen Abständen daran teilzunehmen. Aber Kluftinger kannte den Leiter der Personalabteilung und seitdem er einmal den Ladendiebstahl von dessen Tochter sehr diskret behandelt hatte, machte der die Einträge in die Personalakte auch ohne, dass Kluftinger die Kurse besuchen musste.
    Das rächte sich nun. Der Kommissar zermarterte sich das Hirn, wie er am besten helfen könnte, den Zustand des Mannes zu stabilisieren … Stabilisieren, das war es! Er erinnerte sich an eine Maßnahme, die bei Bewusstlosen durchgeführt wurde. Stabile Seitenlage nannte sich das und Kluftinger war sich ziemlich sicher, dass er die notwendigen Handgriffe noch zusammenbringen würde. Er kniete sich hin und schob vorsichtig seine Hand unter den Rücken des Mannes. Gerade als er dessen rechten Arm nach hinten schieben wollte, hörte er hinter sich einen Schrei. Er fuhr zusammen und drehte sich um. Sein Sohn stürmte auf ihn zu: »Hey,Vatter! Spinnst du? Lass den Mann los.«
    Kluftinger wich augenblicklich einen Schritt zurück.
    »Was hast du denn vor?«, fragte Markus keuchend.
    »Ich wollte nur … man muss doch … stabile Seitenlage!«
    »Stabile Seitenlage?«, wiederholte Markus ungläubig. »Willst du ihm jetzt endgültig den Rest geben?«
    »Nein, nein. Ich meine, dann …«, er dachte kurz nach, um dann im Brustton der Überzeugung fortzufahren, »… dann beatmen wir ihn eben.«
    »Herrgott, Vatter, er atmet doch! Sag mal, müsst ihr nicht regelmäßig diese Erste-Hilfe-Kurse machen?«
    Kluftinger wurde rot. »Jetzt schwätz hier nicht g’scheit rum, schlag lieber was vor.«
    »Na, wir müssen vor allem die Blutung stillen. Falls es da noch was zu stillen gibt …«
    »Hab ja schon geschaut, ob er
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