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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer
Autoren: Manfred Megerle
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nicht verkneifen. »Wenn Egoismus wehtäte, müsstest du dich vor
     Schmerzen krümmen.« Am liebsten hätte sie diesen Widerling gesiezt, doch das
     unter Kollegen übliche »Du« konnte sie schlecht ignorieren. Aus den
     Augenwinkeln nahm sie im zweiten Stock des Gebäudes eine stämmige weißhaarige
     Männergestalt wahr. Der Chef war also bereits im Haus.
    »Wer zuerst kommt, parkt zuerst, wusstest du das
     nicht, liebe Kollegin? Oder willst du mich für den knappen Parkraum
     verantwortlich machen?« Kalfass schloss die Wagentür und rückte seine randlose
     Brille zurecht, ehe er grinsend in Richtung Hintereingang verschwand.
    Zehn Minuten später betrat Jo das Büro.
    »Gut, dass du endlich kommst«, bemerkte Kalfass
     süffisant, ohne den Blick von seinem Bildschirm zu nehmen. »Die Antwort vom LKA ist da. Der Tote bei dem Überfall in Owingen geht
     eindeutig auf das Konto der Rumänen.«
    Noch ehe Jo eine passende Antwort einfiel, öffnete
     sich die Tür zum Nebenraum. Mit einem übertrieben zackigen »’n Morgen, die
     Herrschaften!« stürmte Hauptkommissar Wolf in den Raum. Trotz der Hitze trug er
     in waghalsig schrägem Sitz ein Barett auf dem Kopf. Jo konnte sich nicht
     erinnern, ihn jemals ohne Kopfbedeckung gesehen zu haben. Angeblich versteckte
     er darunter eine kahle Stelle, die ihm ein Messerstecher bei der Festnahme
     zugefügt hatte.
    »Jo, nimm deine Tasche und überlass die Rumänen Onkel
     Lu. Wir müssen weg.«
    »Was ist passiert?«, fragte sie.
    »Wir fahren nach Wallhausen. Ein Suizid.«
    Bei dem spöttisch hingeworfenen »Onkel Lu« hatte
     Kalfass ruckartig den Kopf gehoben. Jo wusste, dass er diesen Spitznamen auf
     den Tod nicht ausstehen konnte. Es ärgerte ihn maßlos, dass Wolf ihn immer
     wieder verwendete. Jo hatte ihm den Namen verpasst, nachdem er auffallend häufig
     von einer jugendlich klingenden Frau angerufen wurde, die er hartnäckig als
     seine Nichte ausgab.
    »Seit wann kümmern wir uns um Wallhausen?« Die
     Missbilligung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Das ist die
     gegenüberliegende Seeseite, da sind die Kollegen aus Konstanz zuständig.«
     Abfällig fügte er hinzu: »Und dann noch ein Suizid!«
    »Später«, beschied ihn Wolf und war bereits unter der
     Tür. Jo hatte Mühe, ihm zu folgen.
    Zehn
     Minuten später standen sie am Bug der »Möwe« und ließen sich die frische Seeluft
     um die Nase wehen. Jo genoss die Überfahrt auf der kleinen Personenfähre, den
     Blick auf das näher kommende Südufer des Überlinger Sees gerichtet, auf den
     bunten Mix der im Sonnenglast flirrenden Landschaft, die so wohltuend auf die
     Seele wirkte. Wolf hingegen schien gegen solcherlei Anwandlungen gefeit. Er
     hatte sich eine seiner gefürchteten filterlosen Gitanes angesteckt, die er
     stets nur zur Hälfte rauchte, ganz so, als würde ihm selbst übel davon.
    Die Überfahrt nach Wallhausen dauerte etwas mehr als
     eine Viertelstunde. Während dieser Zeit war die drückende Schwüle wenigstens
     halbwegs zu ertragen.
    »Wo genau ist denn der Fundort der Leiche?«, brach Jo
     schließlich das Schweigen.
    Einige Sekunden verstrichen, ehe Wolf antwortete.
     »Etwa achthundert Meter oberhalb Wallhausen, in einem Buchenwäldchen unweit der
     L219.«
    »Und wie kommen wir dahin? Doch nicht zu Fuß?« Jo
     blickte skeptisch auf ihr wenig geländegängiges Schuhwerk.
    »Keine Sorge, die Konstanzer Kollegen schicken einen
     Wagen.«
    »Onkel Lu hatte recht: Wieso kümmern eigentlich wir uns um den Fall – vorausgesetzt, es ist einer? Der
     Fundort liegt auf Konstanzer Gebiet.«
    Wolf warf seine Kippe in den See. »Der Tote heißt
     Stanislaus Ploc, ein Pole, von Beruf Lastwagenfahrer. Wohnte auf unserer Seite
     des Sees, in Ludwigshafen, deshalb hat man uns verständigt.«
    »Gibt es einen Abschiedsbrief?«
    »Keine Ahnung. Warten wir’s ab. Und ehe du mich weiter
     löcherst: Auch ob die Leiche schon untersucht wurde, weiß ich nicht.«
    Minuten später legte die »Möwe« an, und sie stiegen in
     den bereitstehenden Streifenwagen. Das letzte Wegstück durch den Wald hätte bei
     empfindsamen Gemütern durchaus Kopfschmerzen oder gar Übelkeit auslösen können.
     Das lag jedoch weniger am Zustand des Weges als an dem draufgängerischen
     Fahrstil des Konstanzer Kollegen.
    Endlich waren sie da. Das Areal war nicht abgesperrt,
     niemand würde sich um diese Zeit dorthin verirren. Sie gingen das letzte Stück
     zu Fuß. Nach einer Weile passierten sie einen
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