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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer
Autoren: Manfred Megerle
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Poltern kippte der Stuhl nach hinten.
    »Unser Doc geht wohl ordentlich zur
     Sache, was?«, fragte der Blonde leichthin, ohne sein zielloses Blättern zu
     unterbrechen. Er wusste genau, welche Kajüte auf welchen Monitor geschaltet
     war.
    Der Bärtige ging nicht auf den
     Plauderton ein. Nur mit Mühe konnte er seine Aufregung verbergen. »Da stimmt
     doch was nicht«, krächzte er heiser. »Komm her, schau dir das an! Ja, spinnt
     der jetzt völlig, oder was?«
    Im Nu war der Blonde auf den
     Beinen. Er schaltete den Ton zu und starrte auf den Bildschirm, versuchte zu
     verstehen, was sich in der Kajüte abspielte. Der Anblick war alles andere als
     beruhigend: Quer über dem Bett lag ein Mädchen, blutjung noch, mit so gut wie
     nichts am Körper. Ihr Kopf ragte über den Bettrand hinaus, hing schlaff nach
     unten. Der vor ihr kniende Mann, mit knappen Boxershorts nur notdürftig
     bekleidet, tätschelte in einem fort ihre Wangen und rief immerzu: »Tammy,
     Tammy!« Als eine Reaktion ausblieb, legte er seine Finger an ihre
     Halsschlagader. Dann stand er ächzend auf und wankte wie in Trance zu einem an
     der Wand stehenden Stuhl. Ohne hinzusehen, griff er in die Tasche der über der
     Lehne hängenden Jacke und holte einen Gegenstand hervor.
    Sein Handy!
    Wie elektrisiert stürzten die
     beiden Beobachter nun aus dem Kontrollraum, rannten quer durch den Salon und
     den daran anschließenden Gang. Schon standen sie in der geräumigen, geschmackvoll
     eingerichteten Kajüte, die von einem französischen Doppelbett dominiert wurde.
    Wütend entriss der Blonde dem
     aschfahlen Medicus das Telefon. »Sind Sie denn total bescheuert?«, herrschte er
     ihn mit mühsam unterdrückter Stimme an. »Warum machen Sie keinen
     Wiederbelebungsversuch, Sie sind doch Arzt?«
    »Aussichtslos.«
    »Geben Sie immer so schnell auf?«
    Der Ältere ging nicht darauf ein.
     Anklagend zeigte er nach unten. »Was habt ihr mit ihr gemacht? Habt ihr … hat
     sie …« Mehr brachte er nicht heraus, seine Stimme versagte mit einem Krächzen.
    Der Bärtige, der neben dem Mädchen
     kniete, erhob sich. »Medicus hat recht«, sagte er gepresst. »Schätze, da ist
     nichts mehr zu machen.« Er ließ ein halblaut gemurmeltes »Dreimal verdammte
     Scheiße« folgen.
    Sein Kompagnon hob beschwichtigend
     die Hände. »Jetzt mal langsam, Leute. Egal, was passiert ist: Wir müssen vor
     allem einen kühlen Kopf bewahren. Und wenn ich ›wir‹ sage, dann meine ich ›wir
     alle‹. Auch und vor allem Sie!« Als wolle er ihn hypnotisieren, bohrten sich
     seine Augen in die des Weißhaarigen. »Haben wir uns da verstanden?«
    Und tatsächlich: Die Worte schienen
     Wirkung zu zeigen. Merklich gefasster ließ sich der Mann auf dem mit Kleidern
     belegten Stuhl nieder und atmete einige Sekunden lang tief durch. »Also gut«,
     presste er dann hervor, »Sie sind die Hausherren. Was schlagen Sie vor?«
    »Sie ziehen sich an«, gab der
     Blonde zurück. »In wenigen Minuten können wir in Dingelsdorf anlegen, das ist
     der nächste Ort hier am Südufer. Um diese späte Stunde hält sich garantiert
     niemand mehr am Bootssteg auf. Sie gehen von Bord und besorgen sich ein Taxi.
     Den Rest erledigen wir.« Über das Bordtelefon teilte er dem Schiffsführer ihren
     Plan mit.
    Zögernd schlüpfte Medicus in seine
     Hose. »Was meinen Sie mit ›Rest‹?«, fragte er misstrauisch.
    »Denken Sie erst gar nicht darüber
     nach. Je weniger Sie wissen, desto besser für Sie. Oder wollen Sie, dass wir
     alle auffliegen? Dann können Sie sich auch gleich einsargen lassen.«
    Sichtlich widerstrebend fügte sich
     der Ältere. Umständlich zog er sein Hemd über, knöpfte es zu und fuhr in seine
     Gucci-Slipper. Dann streckte er dem Blonden die offene Hand hin: »Mein Handy,
     bitte.«
    »Ich glaube, das wäre keine so gute
     Idee«, antwortete der, und ehe sich die beiden anderen versahen, flog das Gerät
     auch schon durch das offene Fenster. Es klatschte, das Telefon versank im See.
    Für einen Moment stand Medicus wie
     vom Donner gerührt. Ohne Übergang fing er zu brüllen an: »Was erlauben Sie
     sich, Mann! Das …«
    Weiter kam er nicht, da ihm der
     Blonde blitzschnell die Hand auf den Mund presste. »Leise!«, beschwor er den
     Weißhaarigen. »Oder wollen Sie, dass sich der ganze Verein hier versammelt?«
     Nur zögernd nahm er seine Hand wieder weg.
    »Sie sind wohl völlig
     übergeschnappt?«, empörte sich Medicus mit mühsam gedämpfter Stimme.
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