Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
hab ich die Schwester gefragt. Heute. Und doch, doch, hat sie gemeint … die Schwester.«
    Eschenbach, der nicht wusste, was er davon halten sollte, biss sich auf die Unterlippe. »Hat Kobler etwas von dir gewollt, Ewald?«
    »Gewollt? Wieso kommst du denn darauf? Überhaupt nicht. Wir haben nur miteinander geredet, sagt die Schwester.«
    »Willst du mir jetzt … Ich meine, Kobler – die hat doch immer etwas gewollt. Du wirst wohl noch wissen, über was ihr euch unterhalten habt … vergisst doch sonst nichts, Ewald. Ging es um die Akte? Hast du ihr gesagt, dass wir darüber gesprochen haben. Wusste sie es?«
    »Welche Akte meinst du?«
    »Ewald!«
    Eine längere Pause entstand, an deren Ende ein krächzendes, leises Murmeln einsetzte. »Eine Akte also … Sicher brauchst du sie sofort, nicht wahr?«
    »Nein, Ewald. Es hat Zeit«, sagte Eschenbach. Einen Moment wusste der Kommissar nicht, ob der Alte nicht doch nur Theater spielte. »Ich komm dich besuchen. Morgen. Und pass auf dich auf, Ewald.«
    »Und wegen der Akte … Also das sagst du mir noch mal, wenn du kommst, oder? Was du genau brauchst. Ich glaube wirklich … nun, ich denke, das habe ich tatsächlich vergessen. Aber beschaffen kann ich sie dir ganz bestimmt.«
    »Ich weiß«, sagte Eschenbach. »Und vielleicht ist heute wirklich dein Glückstag.«
    »Ja, ein Glückstag.«

NACH DEM SPIEL

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, hört man die Trainer manchmal orakeln. Aber das ist eine schlechte Lüge. Die Trainer wissen das, und weil sie es wissen, sagen sie es. Es ist immer dasselbe.
    Eine bittere Niederlage wird nicht einfach aus den Köpfen der Spieler verschwinden; ebenso nicht ein grandioser Sieg. Hochmut hier, Geschlagenheit dort. Die meisten tragen es nach Hause, wie bunte Hüte oder die Krätze.
    Nur die Großen reichen sich am Ende die Hand; halten eine Weile inne und gehen leise.

Respekt, Eschenbach. Respekt!
    Der Zettel mit der kurzen Notiz war Eschenbach auf den Boden gefallen, als er am Flugschalter die Tickets aus der Tasche gezogen hatte. Es war nicht die einzige Hinterlassenschaft Koblers, die von Matt an jenem Nachmittag vor zwei Tagen im Haus der Polizeichefin gefunden hatte.
    Nachdem Eschenbach den kleinen Berg Asche in die Grube von Lenzens Seerosenteich geschaufelt hatte, war er nach Kilchberg gefahren. Von Matt und seine Leute von der Spurensicherung waren bereits mit ihrer Arbeit fertig gewesen, als er am Tatort eingetroffen war.
    »Vermutlich hat sie sich selbst erhängt«, hatte der Berner gesagt. »Tragisch, wirklich tragisch. Aber wir werden uns hier keinen Fehler leisten und alles bis ins letzte Detail abklären.«
    »Gibt es denn einen Abschiedsbrief?«
    »Keinen Brief … nur ein Tagebuch. Sie hat’s im Cheminée verbrannt.«
    »Und lässt sich noch etwas rekonstruieren?«
    »Doch, die ersten zwei Seiten. Klebten am Ledereinband und wurden so vom Feuer verschont. Sag mal, wusstest du, dass die Chefin eine … nun ja, ein Problem hatte?«
    »Wieso?«
    Von Matt hatte den Kommissar etwas verunsichert angesehen und dann den ersten Satz des Tagebuchs wiedergegeben: »Ich bin das Kind einer Feckerin« – weißt du, was das bedeuten könnte? Und dann hatte die so einen Elektroschocker. Nicht den TASER , den wir angeschafft haben. Ein Handmodell, ohne Projektile. Lag auf der Espressomaschine, zusammen mit einer Notiz für dich. Respekt, Eschenbach  … Keine Ahnung, was ihr da für einen Strauß ausgefochten habt. Ist wohl besser, du nimmst den Zettel mit. Trotz allem, ich glaube, sie hat dich gemocht.«
    »Claudio übernimmt den Fall. Ich flieg übermorgen nach Kanada. Lachse fischen.«
    »Aber die Saison beginnt doch erst im August.«
    »Wer sagt’s denn, dass ich nicht so lange bleibe?«
    »Reihe zweiunddreißig.« Die Dame im dunkelblauen Kostüm händigte Eschenbach die Bordkarten aus. »Plätze C, D und E. Sie sitzen nebeneinander.«
    Kathrin hievte ihren Koffer auf das Rollband.
    »Neunzehn Kilo achthundert«, las Corina vom Display ab. »Erlaubt sind zwanzig. Da hast du aber Glück gehabt.«
    »Von wegen Glück«, sagte Kathrin spitz. »Ich hab’s zu Hause gewogen. Deine Waage ist ungenau, ich hätte gern noch ein T-Shirt mehr mitgenommen.«
    Nachdem das Gepäck auf dem Rollband in einem Tunnel verschwunden war, passierten sie den Sicherheitscheck und setzten sie sich auf die Stühle in der Wartehalle. Kathrin vertiefte sich in eine Bravo , und Corina fragte zum zweiten Mal, ob die Zeit noch reichen würde, sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher