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01 - Der Ring der Nibelungen

01 - Der Ring der Nibelungen

Titel: 01 - Der Ring der Nibelungen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sieglinde und das Ende des Krieges
     

     
    Es war leicht in dieser Nacht, sich von den eigenen Sinnen täuschen zu lassen. Sieglinde musste sich nicht besonders anstrengen. Sie legte sich auf die Felle zurück, die in der hintersten Ecke gestapelt waren, und schloss die Augen. Der Weg, der fort von Wahn und Furcht führte, war der Weg in den Traum.
    Das flackernde Licht brennender Pfeile, die wie leuchtender Regen auf die Zelte prasselten, wurde zu einem behaglichen Lagerfeuer. Der schweflige Geruch sengenden Menschenfleischs wurde zum Bratengeruch eines Ebers, der am Spieß grillte. Und das Stöhnen sterbender Männer auf dem Schlachtfeld wurde zum leisen Seufzen einer Liebesnacht.
    Die Krieger, die draußen brüllten und rannten - sie waren nun die fröhliche Gesellschaft eines rauschenden Festmahls.
    Sieglinde atmete langsam und ganz ruhig. Ihr Herzschlag fiel vom Galopp in den Trab zurück, und ihre Hände lösten sich. Sie wartete darauf, dass es vorbeiging. Dieser Krieg, diese Schlacht, dieses Gemetzel - es ging schon zu lange nicht mehr um Sieg oder Niederlage.

    Es ging um Ruhe, die wieder einkehren musste. Ruhe, um die Felder rund um Xanten zu bestellen. Ruhe, um das Vieh zu füttern, damit es durch den Winter kam, der vor der Tür stand. Ruhe, um die Kinder zu zeugen, die im nächsten Sommer das Licht der Welt erblicken sollten.
    Die Decke, die vor dem Eingang hing, wurde grob beiseite gerissen.
    Sieglindes Hand fand unter dem Fell den Griff eines Dolches. Sollte der Feind gekommen sein, seinen Sieg durch die Schändung der Königin zu vollenden, würde er nur eine Leiche finden.
    Eine hünenhafte Gestalt trat in das Zelt - metallene Platten baumelten an Lederriemen herab, und das Wams war zerrissen und von Blut und Schmutz so überzogen, als käme sie geradewegs aus Utgard, dem Reich der Ungeheuer.
    »Mein König!« Sieglinde sprang auf.
    Sie flog ihrem Gatten förmlich in die Arme, und Siegmund drückte sie an sich, als wolle er ihr das Leben aus dem Körper pressen. Seine Haare hatten sich aus den Zöpfen gelöst, und ihr Gesicht tauchte wie in ein Kissen, als er sein müdes Kinn auf ihre nackte Schulter legte.
    Der König von Xanten roch nach Schweiß, Blut und dem Unrat des weiten Ackers, auf dem sie sich dem Heer von Hjalmar gestellt hatten.
    Sieglinde konnte spüren, dass er zitterte. Hinter ihr fiel etwas aus seiner Hand auf den Boden, aber sie wagte nicht, sich aus seiner Umarmung zu lösen.
    Kein Wort wurde mehr gesprochen.
    Sie hörte ein leises Geräusch, als sich seine Finger zur Faust ballten und den Stoff ihres Kleids am Rücken zerrissen. Es war immer noch der Traum. Ihr Traum, dass mit geschlossenen Augen die Wirklichkeit zu bannen war. Dass nicht geschah, was nicht geschehen durfte.

    Und Siegmund wollte den Traum ein letztes Mal mit ihr teilen.
    Sieglinde hielt immer noch den Dolch in der Hand. Wie Siegmund ihr das Kleid vom Leib riss, so durchschnitt sie nun die Riemen, an denen die Reste seiner Rüstung hingen. Klappernd fielen sie zu Boden.
    Unter dem Kleid war sie nackt, denn als sie trotz seines Verbots in einfacher Tracht von der Burg zum Schlachtfeld geeilt war, hatte sie sich des letzten Diensts erinnert, den sie ihm noch leisten konnte.
    Er stieß sie grob und müde zugleich auf die Felle zurück. Sein edles Gesicht, von einem ungezügelten Bart umwuchert, verzog sich im Schmerz, als er das Wams über den Kopf zog.
    Sie konnte nun die Wunden sehen. Schwertwunden, Pfeilwunden, Messerwunden, Bisse von wilden Hunden, die Hjalmars Truppen mitführten. Keine der Wunden war versorgt worden, und aus einigen quoll bereits Eiter aus entzündetem Fleisch.
    Sie wollte aufstehen, ihm helfen!
    Doch sein Gesichtsausdruck ließ sie innehalten. Der Anblick ihres nackten, weichen Körpers im flackernden Licht beruhigte ihn, gab ihm Frieden. Er brauchte den Zuspruch ihrer Seele, nicht ihrer Hände.
    Siegmund sah sie mit derselben Liebe an, mit der er um sie geworben hatte, als sie kaum siebzehn gewesen war. Er hätte jede Prinzessin der umliegenden Königreiche freien können. Xanten war ein starkes, stolzes Land, und es hatte einen starken und stolzen König. Doch er hatte sie erwählt - die Tochter eines einfachen Grafen.
    Zuerst hatte sie geglaubt, er wolle nur ihre Gunst als Kebse, bis sich eine geeignete Königin fand. Es wäre nicht ihre Entscheidung gewesen, sein Ansinnen abzulehnen.

    Doch dann hatte sie diesen unbeschreiblichen Ausdruck völliger und reiner Liebe gesehen, mit dem
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