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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten
Autoren: Michael Theurillat
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gewartet hatte, nahm den Kommissar beim Arm. Mit dem Kinn deutete er auf das Päckchen. »Es ist wohl besser, du gibst mir das zur Aufbewahrung.«
    Eschenbach hob die Augenbrauen.
    »William Turner, The Blue Rigi«, sagte Mr Singh. Und zum ersten Mal sah Eschenbach ein Grinsen im Gesicht des Sicherheitsmannes. »Lara hatte ihn vor Jahren gekauft. Anonym natürlich. Nur der Preis kam in die Schlagzeilen. Knapp sechs Millionen.«
    »Pfund«, sagte Meier.
    Das Flugzeug war noch nicht gestartet, als Eschenbach Laras Brief aus der Jackentasche zog und ihn öffnete.
    »Liest du ihn uns vor, Papa?«, sagte Kathrin, die links vor ihm saß.
    »Von mir aus«, sagte Eschenbach.
    »Lieber Lukas …«, begann er.
    »Warum nennt die dich Lukas?«, unterbrach Corina.
    »Wenn ihr wollt, dass ich euch den Brief vorlese, dann müsst ihr still sein.«
    Motorengeheul erklang. Sie starteten.
    Lieber Lukas,
    die Kunst ist die notwendigste aller Nebensächlichkeiten – das hat mir mein Vater immer gesagt. Und in diesem Punkt, nachträglich gesehen wohl der einzige, da muss ich meinem alten Herrn recht geben.
    Vielleicht hätten wir doch noch in die Tate gehen sollen, um uns die Bilder anzuschauen. Es gibt Dinge, die darf man nicht verschieben. Aber im Nachhinein ist man immer klüger. Ich habe nun andere Pläne. Es wird mir nicht möglich sein, Dich noch einmal zu sehen. Vielleicht ist das ja auch besser so.Wenn du diesen Brief erhältst (den dir Paresh hoffentlich persönlich aushändigen wird), werde ich nicht mehr existieren. Ich weiß nicht, wohin es mich schlägt und wie es dort aussieht, wo man hinkommt, wenn alles vorbei ist. Ich hoffe nur, ich sitze nicht neben Kronenberger … William wäre mir lieber: Der Maler oder der Dichter – das ist mir egal.
    The Blue Rigi , das Dir Paresh ebenfalls geben wird, gehört meinem Patenkind Latscho. Das Bild ist ungefähr sechs Millionen wert. Hebe das Bild für ihn auf, bis er erwachsen ist – und wenn du willst, lass eine schöne Kopie machen. Er wird sich bestimmt freuen.
    Damit kommen wir zum Geld: Es wird mehr als genug davon übrigbleiben. Ich habe Ira damit beauftragt, eine Stiftung zu gründen, mit dem Zweck, die kulturelle Vielfalt, insbesondere die der jenischen Fahrenden, weiter zu erhalten und zu fördern. Ein Teil der Erträge soll Latscho direkt zukommen, für seine Ausbildung et cetera. Er ist kein einfaches Kind, das hast du sicher gemerkt; die psychologischen Abklärungen, die Charlotte gemacht hat, haben ergeben, dass er über eine sprachliche Inselbegabung verfügt, die von einer leichten Form von Autismus umschattet wird.
    Mit der Führung der Stiftung werden Meret und Josef betraut, Ira wird ihnen dabei zur Seite stehen – und wenn es dir möglich ist: auch du. Später soll Latscho nachfolgen, wenn er will und kann.
    Ich hoffe, deine Nase kommt wieder hin. Und der Fuß ebenso (auch wenn dieser, streng genommen, nicht auf mein Konto geht).
    Ich küsse Dich,
    Lara
    »Wow! Sechs Millionen«, sagte Kathrin.
    »Pfund vermutlich«, sagte Corina.
    »Und du meinst wirklich, die passen auf das Bild auf –immerhin ist das ein Original …« Kathrin fragte nach dem Wechselkurs Pfund zu Schweizer Franken.
    »Zwölf Millionen«, sagte Corina, und ihre Tochter, die mit dem Ergebnis zufrieden war, meinte: »Dann muss ich diesen Latscho unbedingt kennenlernen.«
    Drei Wochen später, in einer kleinen Lodge (deren Name hier nicht von Bedeutung ist), ungefähr siebzig Kilometer nordöstlich der Stadt Kamloops, British Columbia, Kanada, erreichte Eschenbach ein Brief. Der Kommissar saß gerade mit seinen beiden Frauen am Frühstückstisch auf der Veranda, als der Flugkurier mit seiner de Havilland Beaver auf dem unmittelbar an die Lodge angrenzenden See landete.
    Etwas später, als ihm der Pilot in der Uniform der West Coast Air den Umschlag überreichte, wurde der Kommissar stutzig: Er erkannte die geschwungene Handschrift von Rosa Mazzoleni.
    Eschenbach öffnete das Kuvert. Es war eine Fotografie, groß und kartoniert. Das Bild einer weißen Seerose. Nymphaea alba  – wir haben den Teich heute eingeweiht«, stand auf der Rückseite. Unterzeichnet hatten: Rosa, Claudio, Meret, Josef, Ewald – und etwas ungelenk: L-A-T-S-C-H-O .
    »Woher wissen die überhaupt, wo wir sind?«, fragte Corina, die ebenfalls einen Blick auf die Karte geworfen hatte. »Nicht mal wir wussten, dass wir hier landen würden.«
    »Und das Handy funktioniert auch nicht in dieser Wildnis«, meinte
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