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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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Wolfshundkralle an einer Kette am Hals trug.
    »Sanft, wenn man ihn liebkost. Schrecklich, wenn man ihn reizt«, erklärte ich Michi oder Ralf.
    »Sag mal, auf welcher Seite spielst du eigentlich?«, fauchte er zurück und rieb sich das Ohr.
    Ich trabte eine Weile neben Spön her. Sein Medaillon hüpfte beim Laufen auf und ab.
    »Ich dachte, du wolltest es nach Sri Lanka schicken?«, fragte ich ihn keuchend.
    »Ich hab mit Heidi telefoniert. Sie ist von einem Singhalesen schwanger und will dortbleiben«, sagte Spön.
    »Gibt’s dort Ayurveda-Gynäkologinnen, bei denen man renovieren kann?«, fragte ich.
    Hartmut, der in unserer Nähe war, lachte laut.
    »Kennt ihr den? Trifft eine Frau ihren Gynäkologen auf der Straße und winkt. Sagt der Gynäkologe: Ich hab Sie jetzt gar nicht erkannt von außen! Haha!«
    Dann versuchte er, einen halbhohen Ball mit der Brust zu stoppen, aber Spön trat ihm von der Seite ins Knie, so dass Hartmut den Ball verfehlte. Aber er ließ sich nicht entmutigen und lief voller Energie dem Ball hinterher.
    »Sie will das Kind bekommen und der Singhalese auch«, ächzte Spön. »Soll sie. Behalte ich halt die Kralle!«
    »Wow, guter Tausch!«
    »Leute, flach spielen und hoch gewinnen!«, brüllte Hartmut tausend Jahre alte Fußballsätze in den Regen. Mir fiel ein, dass Hartmut in Österreich Red Bull Salzburg die Daumen drückte – ausgerechnet den »Dosen«, wie wir sie alle verächtlich nannten, weil sie von dem Energydrink-Hersteller gekauft worden waren.
    Ich sah, wie Frank mit gesenktem Kopf und pulsierenden Waden auf Ralf oder Michi aus der deutschen Botschaft zulief und den Ball aus deutschem Besitz zurückholte. Der Botschaftsdeutsche blieb liegen, Frank lief ein paar Meter und passte dann zu Herbert Prohaska, der elegant Bernd stehenließ und in unseren Strafraum flankte. Robert löste sich von einem der Controller der Deutschen Bank, stieg hoch und nickte, wie zu sich selbst, zum 1 : 0 ein.
    Robert lag, alle viere von sich gestreckt, im nassen Gras. Spön, Franz, Doron, Klaus, die Zwillinge und Heinz liefen zu ihm und warfen sich auf ihn drauf. Für Borg war der Weg zu weit, er blieb im österreichischen Tor stehen. Frank schien unschlüssig. Jubeln oder schimpfen? Lag er in Führung oder war er im Rückstand? Robert ballte die Faust und nickte mir zu. Ich nickte zurück und streckte ihm meinen Daumen entgegen.
    Hartmut und der Deutschenstammtisch versuchten in der Folgezeit alles, aber Obermayer, Prohaska und die euphorisierten Österreicher ließen sich das Spiel nicht mehr aus der Hand nehmen. Frank wechselte sich irgendwann selber aus, ihm tat die Wade weh. Vielleicht eine Art Abschiedsschmerz. Er saß auf der alten Tribünenruine aus den 20er Jahren unter einer Buche. Würde es jetzt blitzen, hätte er ein gutes Plätzchen gefunden.
    Kurz vor Schluss, um kurz vor halb vier, riss der Himmel wieder auf. Die Sonne strahlte, und das Spiel war aus.
    »Schau oba, Opa! Wir haben’s gschafft. Wir haben’s wieder gschafft, Opa!« Klaus kniete auf dem Rasen und streckte die Arme in die Höhe, als erwarte er eine Umarmung.
    Kina hatte ihren Butterblumenstrauß fertig gepflückt. Ich umwickelte ihn mit einem langen Grashalm und setzte sie in den Kindersitz. Den Strauß hielt sie in der Hand und winkte damit Robert und den anderen zu. Sophie suchte im Gebüsch seltene Käfer und warf uns eine Kusshand zu. Ich schob Kina über den Kies des angrenzenden Tennisclubgeländes. Auf der Rustenschacherallee stieg ich aufs Rad.
    Auf der Jesuitenwiese war Hochbetrieb, im Prater blühten die Bäume. Meine Beine waren schwer. Kina kitzelte mich mit den Butterblumen. Wir fuhren den Donaukanal entlang, die Sonne schien wieder und ließ Kristalle auf dem Wasser glänzen. Mit Vollgas fuhren wir durch eine Pfütze. Kina lachte.
    An der Urania war ein Stau. Wir standen an der Ampel zum Ring. Unzählige Busse aus Deutschland, Ungarn und Italien fuhren im Schritttempo an uns vorbei.
    »Warum fahren hier so viele Busse?«, fragte Kina.
    »Das sind Touristen. Touristen kommen gern nach Österreich«, antwortete ich.
    »Ich möchte auch einmal nach Österreich«, sagte meine kleine Endemitin.
    »Das machen wir«, versprach ich und streichelte ihr über den Kopf, wie einem schönen, seltenen Tier. Wir fuhren im Schatten der Bäume am Ring bis zur Staatsoper. Überall hingen Werbeplakate für die EM.
    »Ist das wegen eurem Spiel?«, fragte Kina.
    Ich lachte. »Nein, für unser Spiel haben wir keine Werbung
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