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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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gebraucht.«
    Wir bogen nach links ab und rauschten vorbei an der Apotheke »Zum heiligen Geist« in der Operngasse. Hier hatte ich lange vor Kinas Geburt den Schwangerschaftstest gekauft – ein weißes Röhrchen, auf dem zwei blaue Striche erscheinen sollten, wenn das freudige Ereignis sich ankündigte. Als Sophie damals den Test machte und auf das Ergebnis wartete, putzte ich mir die Zähne. Meine Zahnbürste war weiß und hatte am Griff zwei blaue Striche. Plötzlich stand Sophie neben mir und präsentierte ebenfalls zwei blaue Striche. Sie strahlte. »Wer wird sich denn jetzt um die Endemiten kümmern?«, fragte ich sie, während wir uns umarmten. »Wir haben bald selber einen zu Haus. Bis dahin werde ich die Bayerische Kurzohrmaus und die Kärntner Gebirgsschrecke hegen und pflegen«, versprach sie. Als ich Spön von der Schwangerschaft erzählte, bot er an, bei der Gynäkologin auszumalen, aber wir verzichteten dankend auf sein Angebot.
    Auf dem Mittelstreifen der Straße waren Blumenbeete angelegt. Noch immer steckten die Schilder in der Erde: Vorsicht: Hier schlafen Blumenzwiebeln , obwohl alles in voller Blüte stand. Vielleicht schliefen bereits neue Zwiebeln unter den blühenden – wer wusste das schon? Über dem Eingang der Secession hing ein Transparent: Kunst braucht kein Sponsoring. Die Erste . Die Erste ist eine Bank.
    »Hast du Hunger?«, fragte ich meine Tochter, die noch immer den Blumenstrauß in den Händen hielt.
    »Ja«, rief sie.
    Ich bog zum Naschmarkt ab und rollte mit ihr zum »Naschmarktstadl«. Die alte Frau Resch stand neben ihrem Stand in der Sonne. Seit zwanzig Jahren kannte ich sie inzwischen. Ihr Haar war fahl und dünn geworden, die Haut grau, ihren Kittel hatte sie in all den Jahren offenbar nie gewaschen. Der Duft von zwanzig Jahre alten Würsten klebte in seinem Gewebe.
    »Wie geht’s außer schlecht?«, fragte sie mich.
    »Gschissen. Und Ihnen?«
    »A gschissen. Und der Klaanen?«
    Sie schaute Kina freundlich an.
    »Mir auch. Mir geht’s auch gschissen«, sagte meine Tochter und lachte.
    In der rechten Hand hielt Kina ihr Frankfurter Würstchen, in der anderen den Blumenstrauß. So erreichten wir unsere Wohnung. Ich blickte auf die Uhr.
    »17:25 Uhr«, rief ich und sperrte auf. »17:25 Uhr!«, wiederholte ich etwas lauter.
    »Sie hat gar nicht ›Wie bitte‹ gesagt«, wunderte sich Kina.
    Wir drehten uns beide um und blickten hinauf zum Fenster der Wie-spät-ist-es-Frau. Es war verschlossen. Auf der anderen Straßenseite sah ich Frau Dvorak mit ihren drei Schäferhunden.
    »Frau Dvorak!«, rief ich. »Was ist mit ihr?«
    »Hamdraht hat sie sich«, rief sie über die Straße zurück und wiederholte noch einmal: »Heim-ge-dreht!« Dann trottete sie weiter, mit ihren alten, nassen Hunden.
    »Was heißt das?«, fragte Kina.
    »Das heißt«, sagte ich und überlegte. »… das heißt, sie weiß jetzt, wie spät es ist.«
    Sophie streichelte meinen Kopf. Wir lagen im Bett. Meine Beine schmerzten, und ich hatte bereits einen Muskelkater in großen Teilen meines Körpers. Mein Kopf lag auf Sophies Brust. Sie roch noch nach dem Regen und dem Gras im Prater.
    »Sie war sehr alt«, sagte Sophie.
    »Ja, ich weiß«, antwortete ich und stöhnte. Meine Oberschenkel brannten, und meine Waden, auch wenn sie mit denen von Frank nicht mithalten konnten, fühlten sich steinhart an.
    »Wart mal«, sagte Sophie und stand auf. Sie verschwand im Bad. Ich streckte mich im Bett und betastete meine Wunden.
    Nach wenigen Minuten kam sie ins Schlafzimmer zurück. »Komm«, sagte sie.
    Ächzend rappelte ich mich auf, Sophie stützte mich. In der Badewanne hatte sie ein Schlammbad für mich vorbereitet. Vorsichtig stieg ich in den heißen Schmodder. Auf dem Boden der Wanne hatte sie eine Decke ausgebreitet, mit der wickelte sie mich ein. Mit dem Zeigefinger malte sie mir einen Schlammpunkt auf die Nasenspitze.
    »Das war nett von euch«, sagte sie. »Robert hat sich wirklich gefreut!«
    Der Schlamm war sehr angenehm. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.
    »Sind Freunde Endemiten?«, fragte ich sie.
    »Nein. Die gibt’s nicht nur in Österreich. Kängurus, das sind Endemiten«, sagte sie und lachte.
    »There are no Kangaroos in Austria«, sagte ich. »Kennst du die T-Shirts mit diesem Spruch? Um Amerikanern den Unterschied zwischen Austria und Australia zu verdeutlichen? Der Spruch ist falsch. Als ich mit Kina im Zoo in Schönbrunn war, haben wir Kängurus gesehen. There are Kangaroos in
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