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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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sagte ich zu Rocco. »Wir sind nur noch zu zehnt.«
    Roccos Bruder Ronny war aus Leipzig zu Besuch gekommen. Er war Koch im »Café Südbrause« in der Karl-Liebknecht-Straße. Leider probierte er etwa die Hälfte dessen, was er dort kochte. Sein Bauch hing schwer über dem Gürtel. Aber er war ein guter Fußballer. Er spielte in Leipzig in einer Hobbymannschaft, die den besten aller möglichen Namen hatte: FC Angstgegner.
    Ronny warf seine Kim auf den Boden und lief in die Umkleidekabine des Wiener Athletic Clubs, die seit den 50er Jahren nicht mehr renoviert worden war. In einer Ecke lag eine Semmel, in die wohl schon Ernst Happel gebissen hatte, und aus dem ehemaligen Entmüdungsbecken wuchs ein grüner Pilz. Die ganze Anlage war nicht gerade ein Prunkstück des Praters.
    »In der Umkleidekabine waren zwei kleine Jungs in Tanzröcken«, sagte er, als er zurückkam.
    »Das sind die Söhne von Franz. Er wollte, dass sie sich das Spiel ansehen«, erklärte ich.
    »Glaube nicht, dass die sich sehr dafür interessieren. Sie haben einen Ghettoblaster dabei und tanzen zu Strawinsky.«
    »Aber die Frauen spielen nicht mit, oder?«, fragte Hartmut und zeigte auf Sophie und ’s Gütli.
    »Nein. Wir versuchen es für Robert so echt wie möglich zu machen. Und damals in Córdoba haben auch keine Frauen mitgespielt.«
    »Auch wenn einige Spieler damals Damenfrisuren hatten«, sagte Ben. »Vielleicht, weil sie keine Freundin hatten? Wenn man dann die Haare wachsen lässt, hat man wenigstens das Gefühl, dass etwas Weibliches bei einem ist.«
    »Gut«, meinte Hartmut. »Denn das bringt’s nicht, mit Frauen zu spielen. Männer und Frauen passen nicht zusammen, außer in der Mitte!«
    »Bitte«, stöhnte ich. »Spar dir deine Machosprüche für dein Spielzeugland auf.«
    »Das find ich echt scheiße, wenn du hier jetzt schlechte Stimmung machst. Echt, Dirk. Ich will hier gewinnen, gut? Wer den Standpunkt vertritt, die körperliche Verfassung sei alles, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm die Praxis anscheinend immer neue Rätsel aufgibt. Ja, die körperliche Eignung ist eine gewisse Vorraussetzung. Der Durchbruch einer Mannschaft zu einer wirklich großen Leistung gelingt aber nur, wenn alle seelischen Kräfte geweckt werden!« Hartmut hatte sich auch theoretisch auf das Spiel vorbereitet.
    Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach halb zwei. Um 13:45 Uhr wollten wir anfangen, zur gleichen Uhrzeit wie 1978, aber Robert und Spön waren noch nicht da. Ich blickte zum Himmel. Immer wieder verschwand die Sonne.

»Wir können das Kind nicht Kina nennen«,
    sagte Sophie, als wir 2003 mit unserer kleinen Tochter eine Woche nach ihrer Geburt im »KC’s« saßen. »In Österreich spricht man China Kina aus. Und China ist zu groß für ein kleines Mädchen aus einem kleinen Land.«
    »Dann nennen wir sie Andorra«, schlug ich vor. »Oder Liechtenstein, und Tatjana wird Patentante. Also, ich find Kina gut.«
    Sophie streichelte sich über ihren leeren Bauch. Es war ungewohnt für sie, so leicht zu sein. Vielleicht war es aber auch eine chinesische Selbstmassage.
    Heinz saß mit uns am Tisch und machte auch Namensvorschläge. »Heike? Hilde? Heidrun? Hiltrud?« In der Hand hielt er die Seite mit den H-Namen.
    »Ich bin immer noch für Kina«, sagte ich. In einer Ecke des Lokals sah ich die alte Chinesin sitzen, die mit ihrem » It will be a boy « die Fifty-fifty-Chance nicht hatte nützen können. »Ein Name, hinter dem ein so großes Land steht, schützt sie vielleicht.«
    »Schutz« war ein Schlüsselwort, das wusste ich, denn Schutz war eine von Sophies Kardinalkriterien. Sie schützte sich, uns, mich, unsere Tochter, und sie beschützte 581 Tier- und 167 Pflanzenarten. Sophie streichelte sanft über den Kopf unserer kleinen Tochter.
    »Und du darfst nicht vergessen, in diesem Lokal bekam sie ihr Geschlecht«, sagte ich. Sophie lächelte ihr warmes Mutterlächeln. Die alte Chinesin winkte zu uns herüber. Sie stand auf und kam zu uns an den Tisch. Heinz redete mit ihr auf Chinesisch, die neue Sprache unserer Tochter. Dann legte die alte Chinesin einen kleinen Plastikaffen in die Babytasche. » It is the year of the monkey «, sagte sie. Heinz, Hans, Hugo und die alte Chinesin waren die Ersten, die unsere Tochter bei ihrem Namen riefen. »Kina«, sagten sie.

Spön hatte Robert mit dem reparierten
    Auto von Heidi im »Lot« abgeholt. Agnieszka sagte zum Abschied, er solle an seinem Geburtstag wenigstens etwas trinken oder spazieren
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