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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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auszuzeln?«
    Um ihn zu ärgern, bestellte ich gleich noch ein »Null Komma Josef« hinterher, ein alkoholfreies Bier.
    Er verzog das Gesicht. »Kastriertes Bier«, grunzte er. Dann schüttete er saure Wurst in sein Bierglas und warf Gurken hinterher. Ich kannte diese Prozedur. Ein Krügerl sind sechs Semmeln, würde er gleich sagen, aber als ich ihm einmal Butter und Marmelade ins Glas schmiss, wurde er wütend und beschimpfte mich als Marmeladinger und ob ich sein Bier vergasen wolle, denn das könnten wir ja eh so gut, das wär ja so urtypisch deutsch.
    »Ich glaube nicht, dass die Nazis Marmelade ins Bier geschmissen haben«, sagte ich.
    »Präpotente Sau«, rief er, stand auf und stellte sich an die Bar neben einen Filmemacher, der seit einer halben Stunde versuchte, sich eine Olive in den Mund zu stecken. Die beiden sahen sich an, und der Filmemacher und Franz wussten, dass die Olive niemals den Mund erreichen würde.
    Um uns herum aßen die Menschen Gulasch, manche tranken dazu altes Speiseöl, beides, damit man eine Grundlage hatte, um viel trinken zu können. »Null Koma Josef!«, rief jemand, anscheinend ein Lyriker, der seinen Panzer der Schüchternheit flüssig durchbrach und lautstark seine Lieblingswürstelstände rausbrüllte. »Erstens: der Warme Hans in Linz; zweitens, die Ragoutsauce am Jakominiplatz in Graz; drittens der Nachtstand in Innsbruck auf der Maria-Theresien-Straße.« Er kam vom Land und hielt deshalb die Provinzfahne auch bei Würsten hoch.
    Es gab auch ein paar betrunkene Frauen ab vierzig, die aber eher die Freakrolle besetzten. Sie waren deutlich in der Minderheit.
    »Ich trinke, weil ich früher immer dachte, es heißt Leber-Zierrose. Das klang so hübsch.« Sie war Journalistin, trank einen Gespritzten, aber, obwohl es Sommer war, einen tiefen Winter-Gspritzten: ohne Wasser.
    »Manchmal glaube ich, mit vierzig bist du als Frau nachts im Winter deines Lebens. Kurz vorm Bleigießen. Silvester, die Pummerin läutet bereits. Tiefverschneite, kalte Glieder. Glaubst du ans Passivtrinken?«
    »Nein«, sagte ich und tat, als röche ich ihre rot-weiß-rote Fahne nicht, denn sie gehörte zu der seltenen Spezies derer, die ständig zwischen rotem und weißem Wein wechselten.
    »Mein Vater hatte neben dem Bett immer einen Doppler Veltliner stehen, für den Fall, dass er nachts Durst bekam«, sagte sie. Ich wusste, dass ihr Vater ein ranghoher Sozialdemokrat aus dem Burgenland war.
    Ein Kabarettist torkelte an uns vorbei, blieb am Rahmen der Toilette hängen und sank lächelnd zu Boden, wo er die Augen schloss und sich hoffentlich im Traum daran erinnerte, noch nicht die Toilette erreicht zu haben. In einer Zeitung hatte ich gerade gelesen, dass er mit dem Trinken aufgehört hätte.
    »Hat er auch«, sagte mein Freund Franz. »Hat aber wieder angefangen.«
    »Aber die Zeitung ist von heute. Ich hab’s eben gelesen. Er hat aufgehört, steht da.«
    »Kein Mensch hat jemals behauptet, dass etwas Wahres in der Zeitung steht. Wenn du die Wahrheit wissen willst, darfst du nicht Zeitung lesen. Du bist wirklich ein Wassertrinker. Ein Viertel Plavac für unseren nüchternen Evangelen!«
    »In der Zeitung stand auch, er würde eine Entziehungskur machen«, setzte ich nach.
    »Du bist Spiegel -Leser, wir sind Spiegeltrinker. Grüß Gott, Herr Kompott! Der Gute hat schon so viele Kuren gemacht, wir nennen ihn den Herrn Kurator.«
    Franz fuhr sich durchs Haar, schloss seine Augen und ließ den Kopf hängen. Plötzlich begann er zu weinen. Er schluchzte, und dicke österreichische Männertränen fielen in sein Glas. Plop-Plop-Plop. Er weinte, weil’s ihm gut ging, das wusste ich. Alles war in bester Ordnung, das war ihm unerträglich. Er trank, um das Glück zu vergessen, er trank sich und die Welt hässlich, weil sein Kopf ihm sagte, dass alles gschissen sein musste, und wenn nur allein eine Verdauung einmal funktionierte und der Gott ihn einen guten Mann sein ließ, wurde die Verzweiflung himmelhoch.
    Er fuhr wieder hoch. »Der Weg ist das Ziel, aber der Rausch ist der Rausch, verstehst du?« Rhetorisch wie die Frage trank er auch. »Während du mich fragst, ob das Glas halbvoll ist oder halbleer, hab ich’s schon ausgetrunken! Ganz leer!«
    Plötzlich stand Borg da. Die Kellnerin hatte ihm ein kleines Gulasch mit Gurken in die Hand gedrückt. Er schwankte, braune Gulaschsauce tropfte auf seine Hose. Sein Schritt hatte einen großen, braunen Fleck.
    Franz lachte. »Als hättst aus dem Schwanz
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