Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
Vom Netzwerk:
nahm die Entschuldigung schließlich an, auch wenn er fortan bis zum Ende des Spiels humpelte. Er hatte Ben die linke Hand geben müssen, denn Guidos rechte Hand lag irgendwo in den Dolomiten, wo er sie als Kind in einer Rübenschneidemaschine verloren hatte.
    Doron lief mit dem Ball am Fuß auf unser Tor zu, Jan grätschte ihn von der Seite um. Doron fiel theatralisch ins Gras und stellte sich dann, Nase an Nase und Stirn an Stirn, provozierend vor seinen Freund.
    »Wenn ein schwuler Deutscher einen schwulen Juden so foult, ist das schwulenfeindlicher Antisemitismus«, schrie Doron und gab Jan einen Kopfstoß.
    Jan fiel brüllend um und sprang wieder auf, sich die Stirn reibend.
    »Aha. Und was ist das? Was ist, wenn’s umgekehrt ist?«
    »Wenn ein schwuler Jude einen schwulen Deutschen foult? Jeder, der einen Deutschen foult, ist ein Gerechter unter den Völkern!«
    »Die Piefke muaß ma mim Oasch ins Gsicht foahn!«, rief Ludwig von Franks Feuerwehrbrigade. Frank stand in diesem Moment genau neben ihm. Ludwig klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »’tschuldige – is mir so aussigrutscht. Ist nicht gegen dich gmeint.«
    Nach 45 Minuten pfiff unser Schiedsrichter ab. Kein Tor war gefallen. Sophie lag im Gras, Kina auf ihrem Bauch. Beide schliefen. Das Spiel war wohl nicht sehr aufregend gewesen, aber wir spielten ja nicht für die Galerie. Ich setzte mich zu Robert in die Wiese und öffnete eine Flasche Frucade Orange. Rocco rauchte. Herbert Prohaska, der kaum schwitzte, weil er sehr ökonomisch spielte, stellte sich zu Rocco.
    »Schnorrst du mir eine Zigarette?«, fragte Prohaska, der Fußballer des Jahrhunderts.
    »Gern«, sagte Rocco und gab ihm eine Kim.
    »Die kenn ich eher vom Damenfußball!« Prohaska lachte.
    »Wieso hast du ihm eine Zigarette gegeben. Er hat doch gefragt, ob du ihm eine abschnorrst«, fragte Ronny.
    »Er hat gesagt: ›Schnorrst du mir eine?‹ In Österreich ist derjenige der Schnorrer, der die Zigarette hergibt«, erklärte Rocco.
    »Aber das ist ja eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Das kapier ich nicht. Da wird das Opfer zum Täter«, sagte Ronny. »Wenn ich dich umbringe, bist du dann in Österreich der Mörder?«
    »Wenn ich dich umbringe, läuft das in Österreich unter Selbstmord, weil ich’s selbst getan habe«, feixte Rocco.
    Robert hing inzwischen an Prohaskas Lippen, der von Córdoba 1978 erzählte.
    »Das Spiel war eigentlich grottenschlecht. Die Deutschen waren net guat, wir auch nicht. Lustig war’s nur im Flieger zurück. Die Deutschen saßen mit uns im gleichen Flieger. Unsere Stimmung war deutlich besser als denen ihre«, erzählte er und dämpfte die Kim aus. »Liebes Geburtstagskind, für mich bist du der beste Mann hier auf dem Platz. Aber ein kleiner Tipp von mir.«
    »Ja?«, fragte Robert.
    »Zieh die Uhr aus. Mit Uhr spielt man nicht. Das schaut deppert aus im Fernsehen, wennst dauernd auf die Uhr schaust!«
    »Wenn sie mich jetzt im Fernsehen bei einem Fußballspiel sehen würden«, sagte Hartmut. »Wie lang könnte ich mitspielen, bis Sie als Profi merken, dass ich kein Profi bin?«
    »Bei dir?« Prohaska überlegte kurz. »Bei dir würd ich’s schon bei der Hymne merken!«
    Erich Obermayer nickte, und ehe Hartmut sich von der Antwort erholt hatte, pfiff der Schiedsrichter zur zweiten Halbzeit.
    Schneller, als uns lieb sein konnte, passte sich das Wetter dem Niveau des Spiels an. Die Sonne verschwand hinter dunklen Wolken. Es war, als hätte man das Fluchtlicht ausgeschaltet. Heftiger Regen prasselte auf den Platz. Sophie, Tatjana und ’s Gütli spannten die »Bre Regenz«-Schirme auf. Innerhalb weniger Sekunden war mein Lego-Hemd klitschnass.
    »Fritz-Walter-Wetter«, rief Hartmut.
    »Rapid-Viertelstunde«, rief Robert und klatschte sie selbst ein.
    Spön, der mit seinen Schnittwunden auf Stirn und Hand und dem humpelnden Laufstil wegen seiner noch nicht wieder voll funktionsfähigen Achillessehne aussah wie der Überlebende eines Flugzeugabsturzes, rappelte sich auf und sammelte seine Kräfte für einen unrunden Sprint. Ein Botschaftsdeutscher holte ihn locker ein und drängte ihn ab. Spön fuhr seinen Ellbogen aus und rammte ihn dem Diplomaten gegen sein Ohr. Der Vertreter des Freistaats Bayern, der sich als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland ausgab, fiel zu Boden.
    »Foul!«, schrie er. »Der Irre hat mir das Trommelfell zerrissen!«
    Spön stand breitbeinig vor seinem Gegenspieler. Erst jetzt sah ich, dass er das Medaillon mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher