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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht
Autoren: Jessica Keener
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noch einmal zu mir und setzte sich ans Fußende vom Bett.
    Â«Schlimme Krämpfe?»
    Ich nickte. Ich gab mir Mühe, ruhig zu wirken, spürte aber, wie sich meine Gesichtszüge verspannten. Sie musste die vielen, viel zu vielen Monatsbinden gesehen haben.
    Â«Du musst es mir nicht verraten», sagte sie, und so wie sie mich ansah, konnte sie Gedanken lesen. «Meine zweite Tochter hat das auch durchgemacht.»
    Ich drückte den Kopf aufs Kissen. Ich wollte nicht, dass sie meine Tränen sah, aber sie liefen an der Seite hinab, schmelzende Eiszapfen.
    Â«Das Wichtigste ist jetzt, dass du ins Leben zurückfindest», sagte sie und legte mir die Hand auf den zugedeckten Fuß. «Du bist zu jung dafür.»
    Â«Ich fühl mich alt», musste ich zugeben. Ich sah, dass sie mir keine Vorwürfe machen wollte. Dafür war es zu spät.
    Â«Sophie ist eine gute Freundin», sagte sie. «Und du solltest dir selbst auch eine gute Freundin sein.»
    Da musste ich wieder weinen, und als sie mir mitleidig den Knöchel drückte, erschauerte ich wegen all dem, was ich aufgegeben hatte. Schämte mich.
    Â«Das ist die Last der Frauen, diese Sache. Nimmst du jetzt die Pille?»
    Ich nickte.
    Sie tätschelte mir noch einmal den Knöchel und ging.
    Langsam richtete ich mich auf. Zwischen den Beinen tat es wieder weh. Ich erinnerte mich an etwas. Als ich mit acht Jahren auf dem Schulhof eine Aluminiumrutsche runtergerutscht war, knallte ich unten in den Fuß eines Jungen rein, der abrupt angehalten hatte, nur aus Spaß, um mich beim Rutschen abzufangen. Ich lief über den Schulhof und drückte mir die Hand in den Schoß, konnte aber gar nicht genau sagen, wo es da unten wehtat. Der Schmerz strahlte bis in die Hüften und in den Bauch. Muskeln und Haut pochten unter dem Abdruck des harten Jungenfußes. Das war das erste Mal, dass meine Scheide protestierte, das erste Mal, dass ich überden durch mich hindurch verlaufenden Tunnel nachdenken musste, eine Höhle unbekannten Lebens, ein Gefäß, in dem es eine zu große und zu dunkle Welt gab, abstrakt und für meinen Geist unerreichbar.
    Ich drehte am Sendersuchknopf, hatte Auto- und Waschmittelwerbung satt. Dora kam mit einem warmen Waschlappen zurück, mit dem sie mir sanft die Stirn abtupfte. Und sie legte mir eine Wärmflasche auf den Bauch.
    Â«Das wird dich beruhigen. Wenn dein Vater nach Hause kommt, lenk ich ihn ab. Der wäre dir jetzt keine große Hilfe.»
    Â«Nimm die wieder mit. Das ist unangenehm.»
    Sie nickte, ihr ernstes Gesicht ein Maßstab von etwas Konkretem, ein Zollstock des Mitleids.
    Â«Mutter hätte ich es nicht sagen können.»
    Â«Sag ihr jetzt, was sie wissen muss.»
    Â«Wie meinst du das?»
    Â«Sprich jetzt mit ihr. Sie hört dich.»
    Als Dora gegangen war, dachte ich darüber nach, was sie gesagt hatte, aber es machte mir Angst. Ich war verwirrt. Ich stieg aus dem Bett, ging zu meiner Kommode und suchte das gerahmte Bild meiner Mutter, das ich dort versteckt hatte. Ein professioneller Fotograf hatte sie beim Geigenspiel aufgenommen. Ich putzte das Glas mit meinem Nachthemd. Damals hatte sie die Haare noch nicht gefärbt. Schulterlang glänzten sie wie Zitronenpolitur auf Holz. Sie war jung, noch am Konservatorium. Und dann dieser Gesichtsausdruck – ein verträumter, glücklicher Zug um die Lippen und der leicht geneigte Kopf auf der Kinnstütze der Geige, als würde sie in einem warmen Pool Seitenschwimmen üben.
    Ich konnte nicht mit einem Foto sprechen. Das war schwer. Spielte es denn eine Rolle, wer sie
damals
war? Ihre Jugendlichkeit war schon lange verflogen.
Heute,
ohne sie, tat es weh. Vielleicht hörte sie mich.
Mutter, hörst du mir zu?
Der Radiosprecher schwatzte weiter und beachtete mich nicht. Ich legte das Foto in die Kommode zurück und ging wieder ins Bett.
    ~~~~~~~~~~~
    Ich blieb drei Tage zu Hause, schlief tagsüber immer wieder stundenlang und machte nachts meine Hausaufgaben: Algebraprobleme, im Biologiebuch die Kapitel über Zellen, ein Referat über Hawthorne für Amerikanische Geschichte. Sophie kam jeden Nachmittag vorbei, brachte mir neue Hausaufgaben und benotete Essays vorbei und verschwand dann zu ihren Tanzkursen. Benny parkte immer an genau derselben Stelle in der Auffahrt und wartete im Wagen, bis meine beste Freundin die Küchentreppe wieder runtergehüpft kam. Er mochte den Rocksender
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