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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht
Autoren: Jessica Keener
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und sehen, wie er wieder blühte. Das ärgerte mich. Es fachte meine Trauer wieder an. Ich wollte schreien. Mich zusammenreißen. Meine Hirnlappen vibrierten. Ich drehte das Radio lauter. The 5th Dimension.
    Up, up and away
    My beautiful,
    My beautiful balloon!
    Beunruhigende Gedanken. Auf dem Rückweg von New York, das Auto, das Flugzeug, Benny, der uns abholte. Lieber Himmel. Mutter. Wo bist du? Ich hatte den kleinen Teddy im Schoß und schlief ein, bevor dasFlugzeug zum Landeanflug ansetzte. Und dann war es irgendwie vorbei. Alles vorbei. Fing aber wieder von vorne an. Das Zerlegen war vorbei. Alles tat mir weh. Ich hatte irgendein Ende erreicht. Ich hatte nichts erreicht. Ich lag auf dem Rücksitz von Bennys Wagen, und wir einigten uns darauf, dass Sophie mitkommen würde, um von mir abzulenken. Sophie hatte Peter vom Münztelefon in der Klinik aus angerufen. Ich schlief, hatte einen schweren Kopf von den Medikamenten und der fürchterlichen Reue, die mein Leben in ein Davor und ein Danach teilte.
    Das Leben war voller Davor und Danach. Vor und nach Mutters Tod. Vor und nach Sherrys Eintritt in unser Leben. Vor und nach Peters Weggang. Vor und nach Gregorys Penis zwischen meinen Beinen. Vor und nach Anthony, der mich auf seinen Schoß hob. Vor und nach der Abtreibung.
    Bis auf die Musik. Beim Singen gab es kein Davor und Danach. Es blieb …
    ~~~~~~~~~~~
    Ich ging in die Küche und hörte den Fernseher im Herrenzimmer. Robert und Elliot sahen wie jede Woche einen Film von Walt Disney, und Vater war bei ihnen. Ich roch seinen Zigarettenrauch. Nicht ihren. Sherrys Mantel hing nicht in der Flurgarderobe. Die Samstagabende verbrachte sie in ihrer Wohnung. In der Küche war nur noch die Nachtbeleuchtung an; die Arbeitsflächen waren so blitzblank, dass ein Besucher nie im Leben das Chaos geahnt hätte, das in unserem buntscheckigenLeben herrschte. Ich hörte, dass Dora in ihrem Zimmer fernsah.
    Â«Ich bin wieder da», rief ich, um keinen Anlass zur Sorge zu geben.
    Das war besser, als sich nach oben zu schleichen. Meine Heimlichtuerei würde sonst nur an Vaters Nerven zerren, und ihn bloß neugierig machen, was ich wohl zu verbergen hätte, und Einzelheiten verlangen, die beweisen konnten, wo ich gewesen war.
    Ich ging in mein Zimmer hoch, zog ein Nachthemd an und ging ins Bett. Falls jemand fragte, würde ich sagen, ich fühlte mich nicht wohl. Die Schule würde ich am nächsten Tag schwänzen. Ich wollte allein sein, mein Leben ändern, den Fehler wiedergutmachen.
    Sophie ging und rief Vater noch etwas zu, bevor sie zur Hintertür hinausschlüpfte.
    Â«Wiedersehen, Mr Kunitz. Bis bald», rief sie fröhlich.
    Ich hörte, wie Benny den Wagen aus der Auffahrt steuerte. Sophie hatte eine gute Wahl getroffen, die bessere Liebe gefunden.
    Die Nacht glitt dahin wie ein langsam zum Stillstand kommendes Karussell, wenn die Musik verklungen ist. Die Schwerkraft übt ihren Sog auf einen aus, wenn man auf dem Karussellpferdchen reitet, auf und ab, bis die Menschen auf dem Jahrmarkt keine verschwommene Farbpalette mehr sind, sondern wieder einzelne Gesichter, die darauf warten, dass man absteigt und in ihre Welt zurückkehrt, aber man will weder die Stange noch die Höhe aufgeben, weil das Leben von hier oben auf dem Karussellpferd besser aussieht. Ich umarmte mein Kissen und hörte Robert und Elliot, die nach oben kamen undan meiner geschlossenen Zimmertür vorbei ins Bett gingen. Eigentlich hatte ich Peters Zimmer übernehmen wollen, und Elliot sollte meines bekommen, aber seit dem Hausverkauf spielte das alles keine Rolle mehr. Ich musste weinen, und die Tränen liefen mir über die Wangen. Ich drückte die Tropfen ins Kissen. Ich schluchzte. Die letzten Tränen hustete ich heraus.
    ~~~~~~~~~~~
    Am Dienstag lag ich im Bett und hörte mir im Radio die Top 40 an. Die Leere streckte mich nieder, als läge ich teilweise unter einer Matratze, und ein anderer Teil von mir läge auf mir drauf. Am frühen Nachmittag putzte Dora das Badezimmer im ersten Stock und leerte die Mülleimer. Ich roch das Clorox und hörte, wie sie ihr Fensterputzmittel auf die Scheiben sprühte. Vertraute Gerüche putzten die Geschichte weg, putzten dieses Haus weg.
    Ich schlief wieder ein, hörte sie aber hereinkommen, als sie mir einen Becher Hühnersuppe brachte. Bevor meine Brüder aus der Schule zurückkehrten, kam sie später am Nachmittag
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